Als sich Erik Satie anno 1913 für eine Agenturbroschüre selbst charakterisieren sollte, schrieb er lakonisch: “M. Erik Satie, geboren zu Honfleur (Calvados), am 17. Mai 1866. Er gilt als der seltsamste Musiker unserer Zeit. Er gehört in die Reihe der ‘Phantasten’, die, nach seinem Zeugnis, ‘sehr verträgliche, liebe Menschen’ sind”. Satie macht sich klein, um Großes zu leisten. Er war der Meister des Versteckspiels und wird noch immer neu entdeckt.
Manchmal sah man in Arcueil, einem Vorort von Paris, einen weißbärtigen Mann im elegant altmodischen Anzug mit einer Traube von Kinder um sich herum durch den Park laufen. Erik Satie mochte Kinder und deshalb arbeitete er nicht nur als Klavier- und Musiklehrer, sondern unterwies auch Schulklassen im Verständnis der Kultur. Er schieb sogar Klavierminiaturen wie L’Enfance de Ko-Quo" (1913), um die jungen Menschen “auf die Klangwelt der modernen Musik vorzubereiten”.
Zu diesem Zeitpunkt war Satie bereits der Mittelpunkt eines inoffiziellen Zirkels konventionsverachtender Avantgardisten. Zu seinem Bekanntenkreis zählten Pablo Picasso, Jean Cocteau, Sergei Diaghliew, Leonid Fedorowitsch Massin. Fünf Jahre später schloss er sich mit Freunden und Schülern zur prädadaistischen Gruppe der “Six” (Darius Milhaud, Arthur Honegger, George Auric, Francis Poulenc, Louis Durey, Germaine Tailleferre) zusammen, die ihn zu ihrem Hauptmann wählte. In seiner radikalen Ablehnung zeitgenössischer Manierismen ging Satie dabei weiter als viele Mitstreiter, auch wenn es dazu nicht den demonstrativen Bruch mit der Überlieferung brauchte. Auf den Wagnerismus und die pralle Neogotik seiner Epoche, auf die Im- und Expressionismen antwortete er mit Humor, manchmal Sarkasmus, vor allem aber mit der Entschlackung aufgeblasener Ausdrucksformen.
Satie ist daher einer der zentralen Impulsgeber der musikalischen Moderne. Die Ernsthaftigkeit seines Spottes durchzieht sein kompositorisches Werk von den Debussy-geprägten “Gymnopédien” (1888) über Ragtime-Bezüge (“Jack in the Box”, 1899) bis hin zu sarkastischen Spätkompositionen (“Sonatine bureaucratique”, 1917). Für den Pianisten Jean-Yves Thibeaudet besteht der besondere Reiz, den zahlreichen Satie-Einspielungen der vergangenen Jahre eine weitere hinzuzufügen, in genau dieser Kontinuität der Abstraktion. Satie verweigerte sich den Vereinnahmungen durch die bürgerlichen Interpretations- und Rezeptionsgewohnheiten. Thibeaudet vermeidet daher die Festlegung auf die Hits der Entspannungsklassik, indem er inspiriert und wohlüberlegt den Bogen über das gesamte Oeuvre des Sonderlings spannt – und mit der vor kurzem erst edierten siebten “Gnossienne” sogar ein kleine Premiere zu bieten hat. Denn Satie ist mehr als ein schrulliger Eigenbrödler mit genialischen Momenten. Er ist einer der Väter der musikalischen Gegenwart, von dem sein Schüler Jean Cocteau in einem Nachruf schrieb: “Aus Furcht, von einem zufälligen und dem Narzissmus verwandten Charme zu profitieren, schnitt mein alter Meister Grimassen. Eine ausgezeichnete Methode, die gegen unachtsame Verehrer schützt […]. Er lehrte mich die Perspektive der Zeit und die Lächerlichkeit, dem Lob wie auch der Beleidigung die geringste Bedeutung beizumessen. Absichtlich gefallen oder missfallen zu wollen, waren für ihn unbegreifliche Haltungen. Er wählte von Anfang an die unhaltbare Stellung”.