Jessye Norman | News | Die Wolkenschieberin

Die Wolkenschieberin

13.02.2008
André Heller ist ein Schwärmer. Wenn er in seinem Domizil in der Nähe von Salo am Hochufer des Gardasees weilt und seinen Geist über die Wipfel und Wogen schweifen lässt, dann fallen ihm Sätze wie folgende ein: “Mir erscheint der Einfluss der Musik auf das Meteorologische ganz und gar plausibel, und ich könnte ihn bei Bedarf wahrscheinlich auch wissenschaftlich erklären. Manche, wie die Schwarzkopf oder Caruso oder Jessye Norman, fegen mit ihrem Genie die Himmel leer, und ihnen verdanken wir die makellosesten Tage und jene seligmachenden Nächte, die den Mond aufs unvergesslichste präsentieren”. Denkt’s, schreibt’s nieder für einen Sammelband mit dem Titel “25 Klassiker – Alte Oper Frankfurt” und lässt’s nun in den Liner Notes zu der DVD “Jessye Norman – A Portrait” noch einmal Revue passieren. Denn schließlich hat er sich in diesem Dokumentarfilm ganz seiner Liebe zur Stimme, genauer zu einer der wohl schönsten Singstimmen der Gegenwart gewidmet.
 
André Heller ist ein Schwärmer und das ist gut so, schließlich öffnet die Begeisterungsfähigkeit die Sinne für das Schöne in der Welt. Seit den siebziger Jahren ist Heller der Ästhetik der Gegenwart auf der Spur, spätestens seit er als Mitgründer des Zirkus Roncalli fungierte, weltweit anerkannt als Visionär des Eindrucksvollen. Und von Anfang an waren seine Interessen nicht nur in eine Richtung orientiert, sondern versuchten, die Wahrnehmung des Ganzen zu erfassen: “Es gibt Ereignisse, die treten mit einer schockierenden Kraft in unsere Wahrnehmung, stiften einen emotionalen Aufruhr, und manches ist danach für lange, oder gar für immer, nicht mehr, wie es einmal war. Picassos ‘Les Demoiselles d’Avignon’ gehört zu diesen Wundern, sowie das Werk des Dichters Borges, Bob Dylans Verkündigungen, die mit dem Rücken zum Betrachter dem Horizont entgegentrippelde Figur Charlie Chaplins am Ende eines Films, Le Corbusiers Klosterkirche in Ronchamps, das Gesicht der Ava Gardner, die Luftsprünge des jungen Nurejev, der Blick vom Dach des Cafés ‘De France’ auf dem Märchenplatz Jema al Fnaa in Marrakesch, und das Singen der Jessye Norman”.
 
André Heller ist auch  jemand, der es nicht bei diesen Träume belässt, sondern alles daran setzt, damit auch arbeiten zu können und sie für möglichst viele andere Menschen transparent, verständlich, zugänglich zu machen. Mit der Operndiva Jessye Norman begab er sich im Herbst 2002 nach Paris, in das Théâtre du Châtelet, und inszenierte zwei Kurzopern, “Erwartung” von Arnold Schönberg und “La Voix Humaine” von Jean Cocteau mit der Musik von Francis Poulenc. Das war die eine Seite, darüber hinaus aber lud er die Sängerin drei Jahre später dazu ein, vor der Kamera im marokkanischen Ambiente des Ksar Char-Bagh und des Gartens Majorelle in Marrakesch auch zu verschiedenen Fragen der Kunst, der Kultur oder ihrer Biographie zu erzählen. So sammelte sich reichlich Material an, aus dem er daraufhin sein Dokumentarportrait machen konnte, das sich dem Phänomen Jessye Norman in prägnanter Heller-Manier nähert.
 
Da hat es zum einen ein gutes Dutzend Musikaufnahmen in besonderen, von Künstlern wie Arnulf Rainer gestalteten Studio-Settings, mit Stücken von Purcell und Schönberg, Mozart und Strauss, Schumann und Mahler, Wagner und Ravel. Nicht das Übliche, mit dem man sich auf die Schnelle profilieren kann, sondern individuelles, komplexes Repertoire von inwendiger Schönheit, das zum Anspruch einer Sängerin, aber auch eines Regisseurs passt, eben das Nicht-Alltägliche darzustellen. Dazu kommen die Gesprächs-Sequenzen, die Norman an ihrer Kindheit und Jugend vorbei zu Fragen der Technik und der Traditionen, zu Kollegen und Maestros, sogar zur Politik und den Ängsten und Einsamkeiten des Bühnenstars führen. So ist “Jessye Norman – A Portrait” beseelt von der Kraft einer Frau, die nach Hellers und vieler anderen Menschen Meinung in der Lage ist, mit ihrer Kunst die Wolken zu bewegen und einen Himmel frei zu machen für die Kraft des Unendlichen.

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