Es ist ein Album, das man hört und sich wundert, warum es nicht schon früher entstanden ist. Aber wahrscheinlich hat Anne Sofie von Otter den Umweg über die Oper und andere Gattungen gebraucht, um zu den Kantaten von Johann Sebastian Bach zurück zu finden, mit denen sie sich schon als junge Mezzo-Sopranistin beschäftigt hatte. Und außerdem ist es ein musikalischer Glücksfall, dass das Concerto Copenhagen und deren Leiter Lars Ulrik Mortensen Zeit und Lust dazu hatten, sich gemeinsam mit von Otter zweier Handvoll Arien und zweier Sinfoniae anzunehmen. Denn das Resultat dieser Zusammenarbeit ist von betörender Schönheit, ein Album mit diesem Funken numinoser Inspiration, die Bach-Interpreten in guten Momenten erfasst.
Ein bisschen war es auch wie eine Heimkehr. „In den ersten zehn Jahren meiner Karriere sang ich viel Bach“, erinnert sich Anne Sofie von Otter an die Vorgeschichte ihres aktuellen Albums, „aber dann vernachlässigte ich bewusst seine Musik und das Oratorium überhaupt, weil es so vieles anderes zu entdecken gab, vor allem die Oper. Mit dieser CD kehre ich also gewissermaßen zu meinen Anfängen zurück“. Die lagen beispielsweise in der Jahren, als sie als Mitglied der Stockholmer Bach-Chores Erfahrungen mit den großen Vokal-Werken der barocken Literatur sammelte. Und natürlich gab es da auch Nikolaus Harnoncourt, der die gesamte Szene der alten Musik spätestens seit den siebziger Jahren faszinierte. „Harnoncourt revolutionierte die Aufführung von Werken des Barocks und der Wiener Klassik. Er entschlackte Tempi und Phrasierung und verwendete Originalinstrumente, um die Musik vom traditionellen weichgezeichneten Klang des romantischen Orchesters zu befreien und wieder zum Leben zu erwecken. Es war eine spannende Zeit für junge Leute wie mich. Wir saßen vor dem Plattenspieler und lauschten fasziniert seinen neuen Aufnahmen von Monteverdi, Bach und Mozart. Harnoncourt hatte zweifellos den wichtigsten Einfluss auf mein Bach-Verständnis“.
Dazu kommen die umfangreichen Erfahrungen, die Anne Sofie von Otter im Laufe der Jahre als Interpretin von Barock-Opern ebenso wie von modernen Recitalen und Programmen bis hin zur Zusammenarbeit mit Benny Andersson oder Elvis Costello sammelt. Zurück in der Vergangenheit entstand auf diese Weise eine umfassende Idee der Dimension, die man bei der Interpretation von Bachs Werken erreichen kann und soll. „Bach ist schwierig, was die Atemtechnik angeht. Es gibt diese wundervollen Gesangslinien und man wagt kaum zu atmen, um sie nicht aufzubrechen. Aber der Text hat für mich zunehmend an Bedeutung gewonnen … Man muss das Bild, das Bach im Kopf hatte, mit der Stimme malen. ‘Erbarme dich’ beispielsweise enthält sehr viel Trauer in den flehentlich kleinen Sexten, in ‘Widerstehe doch der Sünde’ dagegen wollten wir eindringlich das Bilds des Gifts aus dem zweien Vers wiedergegeben.“
Um derart intensiv an Text und Gestalt der Interpretation zu arbeiten, brauchte es einen Partner, der ebenso kompetent wie kooperativ mit den musikalischen Vorlagen umgeben konnte. Lars Ulrik Mortensen gehörte schon lange zu Anne Sofie von Otters Freundeskreis, bevor er anfing, das Ensemble Concerto Copenhagen zu leiten. Das wiederum fiel der Sängerin als besonders feinsinniges Orchester auf und so war klar, wen sie fragen würde, ob er an dem Bach-Projekt mitarbeiten wolle. Lars Ulrik Mortensen hatte Zeit und Lust dazu und so vertieften sich Dirigent und Solistin ausführlich in die musikalische Literatur, bis sie das passende Programm aus Solo-Arien, Duetten und Chorstücken zusammen hatten. Das Spektrum reicht von Exzerpten aus dem „Magificat BWV 243“ über einzelne Kantaten wie „Nichts kann mich erretten BWV 74“ bis zu Ausschnitten aus der „h-moll Messe“ und der „Matthäus-Passion“. So entwickelte sich ein Programm, das letztendlich alle Beteiligten in Begeisterung versetzte: „Ich habe mich mit großen Enthusiasmus in dieses Projekt gestürzt“, resümiert Anne Sofie von Otter und ergänzt: „Lars Ulrik hat wirklich Qualitäten, die ich an einem Dirigenten schätze, vor allem im Bereich der Barockmusik: sehr klare Vorstellungen und viel Energie. Er dirigiert von der Orgel aus, wirkt also selbst sehr aktiv beim Musizieren mit. Es war eine kreative Zusammenarbeit, von großer gegenseitiger Sympathie getragen“.
Mehr Informationen zu Anne Sofie von Otter unter
www.anne-sofie-von-otter.de