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Andreas Kluge trifft Joseph Calleja

Andreas Kluge
06.02.2004
Andreas Kluge ist verantwortlich für den Bereich Presse & Artist Promotion bei Universal Classics und betreut die Exklusivkünstler von Deutsche Grammophon, Philips und Decca während ihrer Konzert- oder Promotionaufenthalte in Deutschland.
17. Dezember 2003. Am Opernhaus in Frankfurt singt ein junger lyrischer Tenor eine der anstrengendsten Partien seines Fachs, Gounods Roméo: Joseph Calleja. Decca, “das Opernlabel”, hatte den gerade 25-Jährigen kurz zuvor unter Vertrag genommen und stand kurz davor, sein erstes Album zu veröffentlichen. Der Titel könnte schlichter nicht sein: Tenor Arias. Die Erwartungen waren hoch, immerhin hatte das Label bereits vor gerade einmal zwei Jahren mit dem Peruaner Juan Diego Flórez für eine veritable Tenor-Sensation gesorgt. Und auch Calleja eilte bereits ein exzellenter Ruf voraus. “Calleja verfügt über einen Stimmtyp, von dem die meisten 30-Jährigen Tenöre nur träumen können: strahlend, männlich, lyrisch und kraftvoll…dieser Junge wird es weit bringen.”, schrieb The Independent on Sunday. Also hieß es für mich: Auf nach Frankfurt, um dem Neuen mal “auf den Zahn zu fühlen”.
Die Umstände erwiesen sich alles andere als günstig. Am 15. Dezember war Calleja kurzerhand bei der FIFA-Gala in Genf mit einem seiner Paradestücke eingesprungen: Verdis Schlager “La donna è mobile” aus “Rigoletto”. Auf dem Rückweg aber hatte er sich im Flugzeug erkältet. Sein Manager traf ihn kurz vor der Vorstellung in Frankfurt: “Du willst doch heute abend nicht etwa singen? Du gehörst ins Bett.” Das wusste auch Joseph Calleja, aber – wie er mir viel später gestand – er wusste auch, dass irgendein deutscher Vertreter seines Plattenlabels extra angereist war, um ihn zu sehen und zu hören. Und außerdem konnte er ja nicht zwei Stunden vor Vorstellungsbeginn alles hinschmeißen und das Opernhaus in Schwierigkeiten bringen. Blieb also nur eins: Zähne zusammenbeißen, Augen zu und durch. Immerhin durch eine Oper von fast Wagnerschen Ausmaßen.
Das erste, was mir auffiel und mich sofort für ihn einnahm, war sein unverwechselbares Timbre. Wie die Tenöre aus längst vergangenen Zeiten. Wie ein Gruß aus der guten alten Schellack-Ära. Klar, strahlend und mit einem leicht schwingenden Vibrato, das sofort ins Blut geht. Riccardo Chailly, der ihn bereits auf seiner Einspielung mit Puccini-Raritäten eine unbekannte Tenor-Kantate hatte singen lassen, beschrieb seinen Eindruck so: “Als ich Joseph Calleja zum erstenmal hörte, war ich sofort von der lyrischen Italianitá seiner Stimme und einer beeindruckenden musikalischen Reife gefangen. Seit langer Zeit hatte ich kein derartiges Talent in solch jungem Alter gehört, dessen Stimmklang mich an eine Qualität erinnert, die ich längst verloren glaubte.”
An diesem Dezemberabend indes kämpfte der junge Mann einen fast aussichtslosen Kampf gegen seine angeschlagene Physis. Als unmittelbar Betroffener litt ich in solidarischem Geiste mit ihm, presste mir die Daumen ins Fleisch und schickte sogar das eine oder andere Stoßgebet gen Himmel. Ich hoffte zum einen, dass das “normale” und nicht persönlich involvierte Publikum von den Anstrengungen so wenig wie möglich mitbekam – denn man weiß ja, wie unbarmherzig ein Opernpublikum sein kann!, zum anderen aber, dass er die Mammutvorstellung von annähernd vier Stunden durchhalten möge. In der Pause bekam ich dann vom Manager ein “Gesundheits-Bulletin” sowie den genauen Hergang der Geschichte und vorsichtig wurde auch angedeutet, dass aus meinem geplanten Antrittsbesuch nichts werden würde… Da wohnten mal wieder, ach, zwei Seelen in meiner Brust: Zum einen war natürlich klar, dass ein physisch (und deshalb auch psychisch) angeschlagener und kranker Sänger nicht unbedingt der ideale Gesprächspartner für ein erstes persönliches Kennenlernen ist, zum anderen hatte ich die Reise nach Frankfurt ja auch unter der Prämisse angetreten, den Decca-Neuzugang künstlerisch und persönlich kennenzulernen und über unsere zukünftige Zusammenarbeit zu sprechen.
Als aber vor Beginn des zweiten Teils die Abendspielleiterin auf die Bühne trat, um mit schweißnasser Stirn die Indisposition von Joseph Calleja anzukündigen und um Nachsicht zu bitten, wenn er die Partie hier und da ein wenig seinem derzeitigen Gesundheitszustand “anzupassen”, war klar es brauchte eines weiteren Anlaufs, um Joseph Calleja in Best und Hochform zu erleben.
20. Januar 2004. Joseph Calleja sitzt in kleiner Runde in einem italienischen Restaurant in Berlin und freut sich über zwei erfolgreiche “Rigoletto”-Aufführungen in der mittlerweile legendären und noch immer kontrovers diskutierten Hans Neuenfels-Inszenierung an der Deutschen Oper. Wer ihn nicht kennt, muss schon zweimal hinschauen, um in dem privaten Joseph Calleja den Duca di Mantua von der Bühne wiederzuentdecken. Keine Spur mehr von der Frankfurter Angespanntheit, als er sich nach der nur mit äußerster Kaftanstrengung zu Ende gebrachten Vorstellung zerknirscht entschuldigte und schnurstracks ins Hotelbett verabschiedete. Hier plauderte er jovial über das Angeln vor den Küsten von Malta, wo man angeblich die meisten Fische an den Haken bekommt. Und über Golf, das er zwar nicht gelernt, aber bei dem er immerhin bereits mit dem allerersten Schlag seines Lebens einen professionell spielenden Freund das Fürchten gelehrt hätte. Er gibt unumwunden zu, dass ihm gut einstudierte konventionelle Inszenierungen allemal lieber sind als spektakuläre moderne, dass er begeisterter Fußfallfan seines Heimatclubs FC Valletta ist. Und dieser Mann hier lacht. Ein ansteckendes und grundsympathisches Lachen, wie man es nicht allzu oft findet, und mit dem er jeden im Handumdrehn für sich gewinnt. Eine wahrhaft herzogliche Charme-Offensive, nur diesmal ganz und gar im richtigen Leben.

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