Der
Virtuose ist eine Erfindung der Aufklärung. Sicher, es gab auch zuvor schon herausragende Instrumentalisten, die vor allem bei Hofe mit Hochleistungen brillierten. Antonio Vivaldi beispielsweise muss ein phänomenaler Geiger gewesen sein und überhaupt gehörte es zum guten Ton, als Komponist auch anständig spielen zu können. Aber erst mit dem leistungsethischen Geist der Aufklärung, der den modernen Künstlertypus des sich durch seine Besonderheit legitimierenden Genies erfand, bekam das Virtuosentum einen Sinn jenseits der Unterhaltung. Einer der ersten Vertreter dieses neuen, sich selbst genügenden Virtuosen, war der Genueser
Niccolò Paganini. Als Experte im Self-Marketing schaffte er es, sich mit der Aura eines Teufelsgeigers zu umgeben, dem nichts zu schwer sein konnte. Musikwissenschaftlich gesehen aber war er vor allem ein Revolutionär der Spieltechnik, der der Violine in einer Art Quantensprung zahlreiche neue Ausdrucksformen abrang.
Paradestück dieser Neuerungen sind die 1805 entstandenen, aber erst 1818 erstmals gedruckten
„24 Capricci per violino solo, op.1“. Inspiriert von den 24 Capricen des Barock-Komponisten Pietro Locatelli schuf er damit die ersten Konzertetüden der Geigenliteratur (Bachs Partiten sind ein Sonderfall und waren nicht für den Konzertsaal gedacht). Sie sind ein Sammelsurium technischer Raffinessen, die heute noch eine Herausforderung für jeden Geiger darstellen. Zu den Feinheiten gehören beispielsweise Läufe im Oktav- und Dezimenabstand, Melodien über durchgehendem Tremolo, chromatische Terzenskalen, zwei- und dreistimmiges Spiel, die Kombination von gestrichenen und gezupften Tönen oder auch Oktavenglissandi. Die Kunst bestand außerdem darin, diese Hürden nicht nur zu meistern, sondern sie auch noch möglichst unangestrengt und selbstverständlich klingen zu lassen. Die Zeitgenossen und Nachfolger Paganinis jedenfalls waren begeistert. Sowohl Robert Schumann als auch Franz Liszt schrieben unter dem Eindruck von dessen Stücken eigene Etüden und Studien, Johannes Brahms komponierte zwei Bücher mit Variationen über ein Thema des Geigers.
Julia Fischer wiederum hat die „Capricci“ zum ersten Mal als achtjähriges Mädchen gehört, in einem Konzert des Geigers Thomas Zehetmair. Mit der Partitur auf dem Schoß folgte sie seinem Vortrag und wurde sich darüber klar, dass sie dann eine große Geigerin sein würde, wenn sie diese Stücke selbst würde spielen können. Da die Münchnerin mit einem besonderen Talent und viel Disziplin gesegnet ist, dauerte es nicht lange und sie hatte bereits einige der Capricen in ihrem Programm. Den ganzen Zyklus aber einzuspielen und sich damit einen Kindheitstraum zu erfüllen, wagte sie erst im Lauf der vergangenen zwei Jahre. In zwei Etappen widmete sie sich den 24 Miniaturen, nach monatelangen Studien und Übungsphasen. Heraus kam etwas Besonderes. Denn Julia Fischer, die inzwischen international als eine der besten Geigerinnen ihrer Generation anerkannt ist, meisterte nicht nur die vielen spieltechnischen Fallschlingen der Capricen, sondern füllte sie darüber hinaus ebenso persönlich wie sinnvoll mit Wärme, Ausdruck, Emotion. Dieser Paganini klingt nicht nach Etüde, nicht nach L’Art pour l’Art, sondern nach Geschichten, die einer der kompositorisch unterschätzen Meister der Intensität durch sein Medium der Gegenwart zu erzählen hatte. Eine wichtige, bewegende Aufnahme.
Eine
Bonusversion von “24 Caprices” können Sie übrigens bei iTunes kaufen. Sie enthält zusätzlich Paganinis Drei Capricen op.40.