Julia Fischer gehört zu den herausragendsten Geigerinnen Deutschlands. Und die Verantwortung, die mit einer solchen Rolle einhergeht, nimmt sie voll und ganz auf sich. Fischer musiziert nicht nur meisterlich, als Geigerin übrigens wie auf dem Klavier, sondern sie weiß sich auch vor der Musik und vor dem Publikum zu rechtfertigen. Dabei bricht auch einmal ganz unverblümt ihr rebellisches Temperament hervor: “Der Sinn eines Konzerts”, so bemerkte sie einmal, “ist nicht, dass die Leute sich amüsieren oder unterhalten. Der Sinn eines Konzerts und der klassischen Musik an sich ist, dass man einen Menschen zum Nachdenken in irgendeiner Form anregt. Ich gehe nicht auf die Bühne als Teil einer Unterhaltungsbranche, sondern als Teil der Kunstbranche.”
Kein Crossover
Wenn sie jetzt Werke von Pablo de Sarasate einspielt, dem spanischen Geiger und Komponisten, den manche Kritiker für einen "Virtuosen ohne Poesie” halten, dann fühlt sie sich herausgefordert, ihr Tun zu erklären und ihrem obigen Statement Nachdruck zu verleihen. Sie habe, bekennt sie in einem glänzenden kurzen Essay zu ihrem neuen Album, nichts von ihrer damaligen Aussage zurückzunehmen. Auch heute noch verschließe sie sich entschieden dem Crossover, das heißt jeglicher willkürlichen Verpoppung der Violinkunst. Andererseits sieht sie sich aber in Sachen “Klassik” missionarisch unterwegs. Sie möchte die klassische Musik einem größeren Publikum zugänglich machen. Deshalb schätzt sie die statische Trennung zwischen U- und E-Musik nicht und glaubt, dass man diesen Spalt überwinden muss. Dazu, so deutet die junge Ausnahmegeigerin an, müssten wir nur auf die wunderbare Kunst Sarasates hören und uns daran erinnern, dass unangefochtene Meister wie Yehudi Menuhin, Mischa Elman oder Jascha Heifetz immer wieder Werke von Sarasate, Kreisler oder Paganini spielten. “Niemand”, so Julia Fischer, “käme deshalb auf die Idee, ihre Ernsthaftigkeit als Künstler anzuzweifeln.”
Innermusikalische Gründe
Die Gründe, warum Julia Fischer unbedingt Sarasate spielen wollte, liegen indes tiefer. Sie scheint etwas bei dem spanischen Komponisten zu finden, das sie bei Bach, Beethoven oder Mozart nicht gefunden hat. Etwas Leichtes, Gelöstes, eine ursprüngliche Vitalität. Zudem ruft der spanische Komponist in ihr eine Erinnerung wach, die durch eine Erfahrung jüngeren Datums noch zusätzlich befeuert worden ist. Als Neunjährige lernte sie bei ihrer Lehrerin Ana Chumachenco die “Romanza andaluza” op.22/1 kennen und war begeistert von der wundervollen Melodie. Vor zwei Jahren wurde sie dann erneut an Sarasate erinnert, als sie ihren Freund und Studienkollegen Rudens Turku die “Malagueña” op. 21/1 spielen hörte. “Ich war”, so Fischer emphatisch, “von der ersten Note an hingerissen. Welche Stimmung diese wunderbare Musik verbreitet! Schon nach wenigen Takten möchte man aufspringen und dazu tanzen oder singen.”
Tanzen und Singen
Und so singt sie denn auch und tanzt mit ihrer Geige in der Hand auf dem neuen Album. Man spürt allenthalben die Gelöstheit und Spielfreude. Es ist, als breche etwas aus ihr heraus, was lange Zeit verborgen war. Das Album beginnt mit Spanischen Tänzen aus dem 4. Heft Sarasates. “Vito” op. 26/VII spielt Julia Fischer intim, zurückgenommen. Eine wunderbare, melancholische Miniatur. “Habanera” op. 26/VIII ist tänzerischer, beschwingter. Man spürt die Leichtigkeit in jeder Note und denkt an ein unbeschwertes Fest, eine vergnügliche Zusammenkunft. “Habanera” op. 21/II entfaltet stolze, erhabene Passagen, unterbrochen von wehmütigen Melodien. Besonders ergreifend ist “El canto del ruiseñor” op. 29 (Der Gesang der Nachtigall), das wie ein Ausflug zum Tanzen wirkt. Die Melodie kehrt aber immer wieder auf höchst elegante Weise zu ihrem Anfangsthema zurück. Vielleicht wie Fischer selbst, die auch einen Ausflug gewagt hat und zugleich zurückgekehrt ist an ihren musikalischen Anfang. Julia Fischers biographische Erinnerungsstücke, “Romanza andaluza” und “Malagueña”, befinden sich übrigens auch auf diesem fantastischen Album.