Julia Lezhneva | Offizielle Biografie

Biografie

Julia Lezhneva
© Decca / Simon Fowler
Man hört immer wieder von Künstlern, die “für das Singen geboren wurden”. Selten jedoch ist das so wörtlich zu nehmen wie im Falle der russischen Sopranistin Julia Lezhneva. Ihr wurde genau in dem Moment eine Opernkarriere prophezeit, als sie im Dezember 1989 in einem Krankenhaus auf der russischen Insel Sachalin das Licht der Welt erblickte.

“Ich muss gleich nach der Entbindung so plötzlich losgebrüllt haben, dass mich der Arzt beinahe hätte fallen lassen und zu meiner Mutter sagte, ich sei eine geborene Opernsängerin! Stellen Sie sich das vor! Ganz erstaunlich!”

Wer Julia bei den Classical Brits von 2010 mit Rossinis Fra il padre gehört hat oder ihre ersten, bei Naive erschienenen Aufnahmen kennt (darunter eine preisgekrönte CD mit Rossini-Arien und Vivaldis Ottone in Villa), den wird man nicht mehr von den beeindruckenden Fähigkeiten der 23-jährigen Künstlerin überzeugen müssen. Ihr Decca-Debüt mit Motetten von Vivaldi, Händel, Porpora und Mozart dürfte nach menschlichem Ermessen eines der musikalischen Hauptereignisse des Jahres 2013 werden.

“Ich habe diese CD in Barcelona mit Giovanni Antonini und Il Giardino Armonico aufgenommen,” erzählt sie. “Die Idee zu dem Programm entstand durch Mozarts Exsultate Jubilate, das für mich einen besondere Rolle spielt, weil ich es schon viele Jahre singe.”

„Zuerst dachten wir an ein reines Mozart-Album. Doch nachdem ich mich mit Giovanni Antonini ausführlicher mit dem Thema der geistlichen Motette befasst hatte, verliebte ich mich in das Konzept, vier große Komponisten des 18. Jahrhunderts mit jeweils einer Motette vorzustellen und zu zeigen, wie sich diese Gattung entwickelte – vom Barock eines Vivaldi und Händel über den galanten Stil Porporas bis hin zu Mozart.“

Obwohl Julia Lezhneva aus Russland stammt, fühlt sie sich seit jeher am stärksten von der mitteleuropäischen Musik des Barock und der Klassik angezogen. Das liegt ihrer Meinung nach zum Teil an Cecilia Bartolis Vivaldi Album, das sie schon als kleines Kind gehört hat: “Das hat mich ungeheuer beeindruckt, denn ich hatte nie zuvor eine Koloraturstimme gehört.” Gleichermaßen stellte sie allerdings immer wieder fest, dass “meine Stimme sich nicht wirklich für russische Musik eignet, während es mir keinerlei Mühe bereitet, barockes Repertoire zu singen.”

Unabhängig von Stilen und Epochen war sie indessen eindeutig zum Singen bestimmt. Ihre Eltern Alfiya und Mikhail waren bedeutende Geophysiker, befassten sich als Geologen also mit den physikalischen Eigenschaften der Erde und hätten es gern gesehen, wenn Julia in ihre Fußstapfen getreten wäre. Doch ihre Tochter fühlte instinktiv, dass ihre Zukunft die Kunst und die Musik sei.

“Selbst die einfachsten mathematischen Schulaufgaben fielen mir schwer,” erinnert sie sich. “Meine Mutter ist sehr theoretisch und hatte viel Mühe, mir beizubringen, worum es ging. Außerdem fiel mir das Lernen und die Konzentration sehr schwer, weil ich vor lauter Energie nicht eine Minute stillsitzen konnte. Allerdings lag mir das Schreiben ganz natürlich, und ich interessierte mich für Poesie und Literatur.”

Zum Glück waren ihre Eltern auch begeisterte Klassikhörer, und so wurde Julia damit schon in ihren ersten Tagen bombardiert. “Wenn man während der Schwangerschaft viel Musik hört, dann hört das Kind mit und wird musikalisch,” glaubt sie. “Nach meiner Geburt wusste meine Mutter genau, bei welcher Musik ich gern erwachte oder einschlief. Wir hatten eine Menge von diesen alten Dingern, so wie große CDs, die man auf diesen alten Apparaten abspielt.”

Sie meinen LPs? Von dem russischen Label Melodiya vielleicht?

“Ja! Melodiya, genau. Als Kind habe ich viele davon gehört. Ich war sehr empfänglich für Musik. Eines meiner Lieblingsstücke war der ‘Tanz der Schneeflocken’ aus Tschaikowskys Nussknacker.”

Zunächst versuchte man, ihre musikalische Begabung auf das Klavier zu lenken, doch auch damit hatte das überaus agile Kind Probleme.

“Jetzt, wo ich älter bin, werde ich ein bisschen entspannter,” lacht sie, “doch als Kind war ich immer außerordentlich aktiv. Immer habe ich mir die Finger geklemmt und den Kopf gestoßen, und meine Mutter merkte, dass aus mir keine Pianistin würde, weil das für uns beide zu anstrengend geworden wäre. Dann stellte ich fest, dass ich eine Stimme hatte, und ich merkte, dass ich damit etwas tun sollte.”

Sogar auf der exotischen und fernen Insel Sachalin, die seit langer Zeit ein komplizierter Zankapfel zwischen Russland und Japan ist, konnte Julia einen ersten Eindruck von solider russischer Musikerziehung bekommen. Mit sieben Jahren wurde alles anders, denn ihre Familie zog nach Moskau, wo sie noch immer lebt. Nachdem Julia mit vierzehn ihre Schule abgeschlossen hatte, kam sie an eine Fachhochschule, wo sie neben weiterem Klavierunterricht auch die ersten Gesangsstunden erhielt. Mit ihrer ungewöhnlich früh gereiften Stimme hatte sie schon als Elfjährige eine Opernkarriere geahnt. Sie weiß noch, wie ihre Mutter sie eines Tages überraschte, als sie gerade im Badezimmer verschiedene Opernsängerinnen nachahmte: “Ich dachte, das wäre jemand im Fernsehen! Wie hast du das gemacht?”

Einer der Musiklehrer riet ihr, sich bei einem Professor für Gesang vorzustellen, und Julia wurde sogleich in einen Vollzeit-Kurs aufgenommen, obwohl sie das vorgeschriebene Mindestalter von fünfzehn Jahren noch nicht erreicht hatte. Alsbald blühte sie auf. Verschiedene musikalische Meinungsführer wurden auf sie aufmerksam. Mit sechzehn Jahren nahm sie an dem Gesangswettbewerb der bekannten russischen Mezzosopranistin Elena Obraztsova teil (zu den Juroren gehörten Opernlegenden wie Christa Ludwig, Renata Scotto und der Bassbariton Bruno Pratico). Die Veranstalterin des Wettbewerbs meinte: “Du hast eine solche agilità, du musst Rossini singen, du bist eine Rossini-Stimme.”

Im nächsten Jahr beteiligte sie sich erneut an dem Wettbewerb, und sie gewann. Das Ergebnis war eine Einladung zum Rossini-Festival im italienischen Pesaro. Schlagartig öffneten sich ihr alle Türen: “Man bot mir an, alles zu singen, doch ich akzeptierte nur zwei Dinge – Rossinis Stabat Mater und die Eröffnungsgala mit Juan Diego Florez. Ich erinnere mich, dass ich nicht wusste, was ich hätte tun sollen! Ich war erst achtzehn und konnte bei der Aufführung der Musik nur meinen Impulsen folgen. Meine Kraft reichte nicht einmal für ein großes Duett aus La donna del lago, obwohl das für meine Stimme fantastisch ist. Doch Florez war ganz lieb und nahm viel Rücksicht auf meine Jugend. Ich hatte nie das Gefühl, dass er mich unter Druck setzte.”

2008 erhielt Julia Lezhneva vom Akademischen Musikkollegium des Staatlichen Moskauer Konservatoriums ein ausgezeichnetes Diplom. Um einige internationale Erfahrungen zu sammeln, besuchte sie anschließend die International Academy of Voice in Cardiff, wo sie dank der generösen Unterstützung der Kempinski-Stiftung bei dem großen alten Waliser Tenor Dennis O’Neill studierte.

“Ich hatte ja noch nie im Ausland gelebt und war sehr schüchtern,” erinnert sie sich. “Es war ein recht großer Schritt für mich. Doch die Arbeit mit Dennis gehört zu meinen schönsten Erlebnissen. Er ist ein prachtvoller, hochherziger und wohlwollender Mensch und ein fantastischer Lehrer, der noch immer wunderbar singen kann. Ich bin sehr glücklich, dass ich ihn kennenlernen und bei ihm studieren durfte.” Als sie jedoch ein drittes Jahr in Cardiff zubringen wollte, musste sie bestürzt erfahren, dass die Kurse aufgrund finanzieller Schwierigkeiten ausgesetzt worden waren. Inzwischen hatte sie jedoch Dame Kiri Te Kanawa kennengelernt, die sie jetzt um Hilfe bat.

“Sie steht in dem Ruf, jungen Talenten zu helfen, und ich fragte an, ob sie mir helfen könnte, einen Studienplatz in London zu finden, an der Guildhall vielleicht oder am Royal College of Music? Sie meinte: ‘Natürlich!’ und rief beide Schulen an. Ich sang in beiden vor und entschied mich schließlich für Guildhall.”

Dame Kiri war es auch, die Julia zu einem Auftritt bei den Classical Brits riet, und so entstand der Kontakt zu Decca. Zwangsläufig interessierten sich gleich die verschiedensten Seiten für ein derart großes Talent, und so ist die junge Künstlerin bereits mit einigen der führenden Experten der klassischen und barocken Musik aufgetreten. In Vivaldis L’Oracolo hat sie mit Fabio Biondis Europa Galante zusammengearbeitet; mit Philippe Jaroussky sang sie unter Diego Fasolis zur Begleitung der Barochisti; sie gab Recitals mit J. C. Spinosi und seinem Ensemble Matheus, gastierte beim Cleveland Orchestra unter Franz Welser‑Möst und musizierte mit dem Orchester des Mostly Mozart Festival unter Louis Langree. Ein großer Erfolg waren die Tournee und die Aufnahme des Ottone in Villa von Vivaldi mit Il Giardino Armonico. Für 2013 sind Konzerte mit René Jacobs, Sir Roger Norrington und Giovanni Antonini geplant.

In Marc Minkowski hat Julia Lezhneva einen besonderen Anwalt gefunden. Er brachte sie auf die internationale Bühne und lud sie zu ihren ersten Aufnahmen ein: Schon als Achtzehnjährige wirkte sie in Bachs h-moll-Messe mit, und zwei Jahre später machte sie ihr erstes Soloalbum mit Rossini-Arien. Danach lud Minkowski die Künstlerin zur Salzburger Mozartwoche und den Salzburger Festspielen ein. Er bot ihr die Fiordiligi in Così fan tutte und andere Hauptrollen an, von denen vielleicht besonders der Urbain in Meyerbeers Hugenotten zu nennen ist, die Olivier Py am Brüsseler Théâtre La Monnaie inszenierte. Aufgrund dieser Leistung erhielt Julia Lezhneva einen der renommiertesten Preise der Opernszene – die Auszeichnung der Opernwelt als “Nachwuchssängerin des Jahres 2011”. Minkowski konnte Julia auch für die Rolle der Asteria in Händels Tamerlano gewinnen, die sie 2012 in Salzburg aufführte – an der Seite des Bajazet Placido Domingo. Anfangs hatte sie befürchtet, für diese Partie noch nicht bereit zu sein, doch im Nachhinein ist sie froh, sie gesungen zu haben. Eine hervorragende Presse lobte ihre Leistung in ganz besonderem Maße.

“Placido Domingo hat uns alle zu einem echten Team gemacht. Er war für uns alle wie ein Vater, war großzügig und freundlich zu jedermann – als ob wir alle seine Kinder oder Verwandten wären. Er hat mich sehr beeindruckt, und ich glaube, dass das meine Qualität bei dieser Partie stark beeinflusst hat. Manchmal denke ich, man muss was riskieren, wenn man merkt, dass die Zeit gekommen ist.”

Wir dürfen mit Sicherheit annehmen, dass viele weitere Risiken und Belohnungen vor ihr liegen.
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