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Fernab aller Standards – Improvisationen auf dem Clavichord

Keith Jarrett
09.03.2023
Mit seinem sogenannten “Standards”-Trio (mit Gary Peacock und Jack DeJohnette) hatte der Pianist Keith Jarrett 1983 ein neues aufregendes Kapitel in seiner Karriere aufgeschlagen. Binnen weniger Jahre spielte er mit dieser Formation (die schließlich erstaunliche 30 Jahre Bestand haben sollte) eine Reihe von Alben ein, die gänzlich neue Maßstäbe für das Interpretieren von Jazzstandards, aber auch für das Improvisieren im klassischen Klavier-Trio-Format setzen. Im Sommer 1986 befand sich der Pianist mit seinen beiden  Spielpartnern gerade auf einer ausgedehnten Festival-Tournee durch Europa, als er am 14. Juli einen freien Tag zwischen zwei Konzerten nutzte, um im Tonstudio Bauer in Ludwigsburg ein besonders ausgefallenes Projekt anzugehen. Für das Doppelalbum “Book Of Ways” spielte Jarrett 19 vollkommen improvisierte Stücke auf drei Clavichorden ein. Die klangliche und rhythmische Vielfalt, die er – abwechselnd auf einem oder gleichzeitig zwei Instrumenten spielend – dabei bot, war schlichtweg beeindruckend. Neben unverkennbaren Anklängen an Lautenmusik und die japanische Koto kam die ganze Bandbreite der Ausdrucksmöglichkeiten des Clavichords zur Geltung. Für die jetzt erscheinende Neuauflage wurden die Improvisationen ohne Änderung der Reihenfolge angepasst. Als das Doppelalbum 1987 erstmals erschien, schwärmte das Magazin Spin: “Jarrett ist es gelungen, mit all seiner gewohnten Innerlichkeit und dennoch mit paradoxerweise größerer Objektivität und Kraft zu spielen; die Musik, so einfühlsam und schön sie auch gespielt sein mag, geht einen frontal an, besteht darauf, dass man ihr zuhört, verlangt eine Entsprechung der eigenen physischen Existenz, schaut einem direkt in die Augen…”
“Meines Wissens ist diese Aufnahme in mehrfacher Hinsicht einzigartig”, schrieb der Pianist 2002 in den Liner Notes für die von ihm zusammengestellte ECM-Compilation “Keith Jarrett – Selected Recordings”, die er überraschend mit drei Stücken von “Book Of Ways” eröffnet hatte. “Wir hatten drei Clavichorde im Studio, von denen zwei in einem solchen Winkel zueinander standen, dass ich sie gleichzeitig spielen konnte, und das dritte stand etwas abseits. Außerdem haben wir die Instrumente mit sehr nah platzierten Mikrofonen abgenommen, damit die gesamte Bandbreite der Dynamik genutzt werden konnte (Clavichorde sind sehr leise und können nur bis zu einer Entfernung von ein paar Metern gehört werden). Die beiden CDs wurden an einem freien Tag zwischen den Konzerten mit meinem Trio aufgenommen, und es wurde kein Material im Voraus organisiert. Alles war spontan. Die Aufnahme wurde in vier Stunden unter Dach und Fach gebracht.”
In einem Interview mit dem Magazin Piano & Keyboard verriet Keith Jarrett 1997: “Ich denke, ‘Book Of Ways’ ist eine der Aufnahmen, von denen ich mir wünsche, dass mehr Leute sie kennen. Ich glaube, sie enthält mehr von dem, was ich höre, als viele Sachen, die ich auf dem Klavier mache, denn das Klavier ist das Klavier.” Mit dieser wunderbaren Neuauflage kann man dieses einzigartige Projekt nun neu entdecken.

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