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Keith Jarrett – Eine musikalische “Heimkehr”

Keith Jarrett
Henry Leutwyler
29.10.2020
Das Doppelalbum “Budapest Concert” ist der zweite komplette Konzertmitschnitt von der letzten ausgedehnten Europa-Tournee, die Keith Jarrett 2016 unternahm. Die Aufnahme in Budapest entstand zwei Wochen vor dem weithin gefeierten Auftritt, der im vergangenen Oktober auf dem Doppelalbum “Munich 2016” veröffentlicht wurde. Das neue Werk dokumentiert eine Solo-Performance des Pianisten in der Béla Bartók National Concert Hall in Budapest. Jarrett, dessen familiäre Wurzeln bis nach Ungarn zurückreichen, betrachtete das Konzert als eine Art “Heimkehr”. Dem Publikum gestand er an diesem Abend außerdem seine lebenslange Zuneigung zu Béla Bartók. Diese Umstände mögen auch erklären, weshalb der Pianist an diesem Abend von besonderer Kreativität beflügelt zu sein schien.
Bei seinen frühen Solokonzerten hatte Jarrett im Laufe eines Abends stets einen großen musikalischen Bogen gespannt und seinen Inspirationen freien Lauf gelassen. Dies änderte sich, als er sich nach einer krankheitsbedingten sechsjährigen Pause 2002 in Japan wieder als Solokünstler zurückmeldete. Aufnahmen von den damaligen Auftritten in Osaka und Tokio erschienen 2005 auf dem Doppelalbum “Radiance”.  Seitdem waren Jarretts Konzerte von einem eher suitenartigem Charakter geprägt.und setzen sich aus kürzeren, pointierteren Stücken zusammen. Mal präsentiert er dabei subtil gesponnene Tongebilde, dann wieder polyrhythmische Studien oder Bluesiges und als Zugabe stets ein paar Standards.
In einer Rezension von “Munich 2016” hatte Mike Hobart in der Londoner Financial Times, geschrieben, “dass in den frühen Recitals klassische Träumereien, populistische Referenzen und Jazzspontaneität zu ausgedehnten Strömen von Inventionen zusammengeflossen waren, während diese Stränge bei jüngeren Recitals getrennt wurden.” Wenn der Prozess der Improvisation einst der Gegenstand der Konzerte gewesen war, so könnte man jetzt sagen, dass es bei Jarretts Solokonzerten im 21. Jahrhundert weniger um das Suchen als um das Finden ging. Die Musik auf “Budapest Concert” hat auf jeden Fall nichts Zögerliches, sondern ist von Anfang bis Ende ein Zeugnis für das unerschütterliche Selbstvertrauen des Pianisten.
“Die Anziehungskraft, die er auf das Publikum ausübt, rührt wahrscheinlich von seiner polystilistischen Grundhaltung her”, schrieb Gábor Bóta auf der ungarischen Nachrichtenseite Népsava. “Jarrett verleibt sich alle Genres ein, von leicht bis ernst, und macht sie sich zueigen. Da die gesamte Darbietung improvisiert ist, sind wir Zeugen, wie die Musik unmittelbar vor unseren Augen und Ohren entsteht… Man spürt förmlich, wie er die Luft des Saals einatmet, das Gefühl des Augenblicks einfängt, seine Finger lockert, die Augen zusammenkneift, und da haben wir es dann: die richtigen Töne, die richtigen Melodien, eine völlig einzigartige Darbietung.”
Dieselbe kreative Energie, die er in seinen Improvisationen offenbart, treibt Jarrett auch an, wenn er bekannte Standards als Zugaben spielt: diesmal sind es der durch Frank Sinatra bekannt gewordene Klassiker “It’s A Lonesome Old Town” und das sehr rhapsodische “Answer Me, My Love”.
“Budapest Concert” verdeutlicht einmal mehr die schier grenzenlose Spielfreude und stilistische Bandbreite des Pianisten und seine einzigartige Fähigkeit, aus dem Moment zu schöpfen. Der ansonsten ungemein selbstkritische Künstler bezeichnete das neue Album vor kurzem sogar als seinen gegenwärtigen “Goldstandard”. Und das sollte nun wirklich jeden Musikfan aufhorchen lassen.

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