Am 13. Februar 1995 öffnete das Teatro alla Scala in Mailand seine Tore erstmals in seiner Geschichte für einen Jazzmusiker. Den Abend bestritt Keith Jarrett mit “Improvvizationi al pianoforte”. Für die italienische Presse war dies ein äußerst bedeutungsvolles, vielleicht sogar historisches Ereignis.
Der Kritiker des Il Messaggero war zuversichtlich, daß von dem Konzert ein Album erscheinen würde: “Keith Jarrett läßt all seine Konzerte aufnehmen, die allerbesten werden zu Platten – so war es der Fall beim ‘Köln Concert’, dem ‘Paris Concert’, dem ‘Vienna Concert’. Das Konzert in der Scala verdient zweifellos auch eine solche Dokumentation, denn der Pianist war in bestechender Form. Jarrett überzeugte in jedweder Hinsicht, sein Anschlag war präzise, sicher, zärtlich, seine berühmten Harmonien in Hülle und Fülle präsent, seine Kontrolle der Farben und Klänge absolut. Die rollenden, fließenden, ausgedehnten Piano-Improvisationen bilden heute schon ein Genre für sich, innerhalb dessen Jarrett Musik machen kann, die jedem zu Herzen geht.”
Auch die deutsche Presse zeigte sich begeistert: “Sitzt Keith Jarrett für ein Solokonzert am Flügel, so fließen die Ideen ohne einen Gedanken ans Jazz-Standardrepertoire”, hieß es im HiFi-Magazin Audio. “In der Mailänder Scala träumte er am 13. Februar 1995 anfangs wie gedankenverloren vor sich hin. Langsam spielte er sich in Trance, fand zu magischen Rhythmen, nahm sie gegen Ende der ersten, 44minütigen Improvisation zurück. Im 27minütigen ‘Part II’ sprühen die Töne wie Gischt aus dem Instrument – eine späte, virtuose Erinnerung an die ungebundenen Zeiten des Free Jazz. Als Zugabe betört sanft ‘Over The Rainbow’.”
“Es ist die emotionale Wucht hinter den ‘greifbaren’ Akkordfolgen und rhythmischen Variationen, die Keith Jarretts improvisierte Soloklavier-Konzerte so einzigartig macht”, konstatierte Stereoplay. “Im Februar 1995 setzte sich der Piano-Magier in der ehrwürdigen Mailänder Scala an den Flügel – und bot alles, was seinen Anhängern das Herz aufgehen läßt: mutige, scharf konturierte, von der Eingebung geleitete Phantasien mit einem leisen ‘Over The Rainbow’ als Zugabe.”
Was damals noch keiner ahnen konnte, war, daß es für lange Zeit auch die letzte Aufnahme eines Jarrett-Solo-Konzertes sein sollte. Kurze Zeit nach dem geschichtsträchtigen Scala-Konzert diagnostizierten Ärzte, daß der Pianist am sogenannten Chronische Erschöpfungssyndrom (CFS – Chronic fatigue syndrome) litt. Die Krankheit führt zu lähmender geistiger und körperlicher Erschöpfung. Gerade die energiezehrenden Soloauftritte waren für Jarrett in der Folge nicht mehr zu bewältigen. Noch im Juli 2001 ließ der Pianist in einem Interview mit Wolfgang Sandner von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Bemerkung fallen ließ, daß er sich vorerst nicht vorstellen könne, wieder Solokonzerte zu geben. Jedes Solokonzert, so fuhr Jarrett fort, sei für ihn etwas ganz besonderes, weil ihm seine Krankheit klar gemacht hätte, daß es sein letztes gewesen sein könnte. Sehr zur Freude aller Fans stellte sich diese düstere Prognose schon im darauffolgenden Jahr als falsch heraus. Denn im Oktober 2002 absolvierte er in Tokio und Osaka zwei umjubelte Auftritte, die auf der Doppel-CD “Radiance” (ECM 1960/61) und der DVD “Tokyo Solo” (ECM 5501) dokumentiert wurden.
Aufnahme am 13. Februar 1995 in Mailand (CD Veröffentlichung 1997) – Weitere Veröffentlichungen der Soloprojekte von Keith Jarrett finden Sie
hier