In den frühen 70er Jahren führte der amerikanische Pianist Keith Jarrett, der dieses Jahr seinen 60. Geburtstag feierte, ein hochinteressantes musikalisches Doppelleben. Während er in Europa für das damals brandjunge ECM-Label von Manfred Eicher als Solist oder mit norwegischen Musikern die ersten Platten aufnahm, die seinen Weltruhm begründen sollten, ging er in den USA für das Impulse!-Label mit amerikanischen Kollegen ins Studio, um dort Jazzalben einzuspielen, die sich musikalisch recht deutlich von den ECM-Werken unterschieden, aber nicht minder wichtig waren. Mit seinen beiden instrumental gleichbesetzten Quartetten – das europäische unterhielt Jarrett mit Jan Garbarek, Palle Danielsson und Jon Christensen, das amerikanische mit Dewey Redman, Charlie Haden und Paul Motian – sorgte der Pianist hier wie da für Furore.
Die fünf CDs umfassende Box “Keith Jarrett: The Impulse Years, 1973–1974” (ein würdiger Nachfolger der bereits 1996 erschienenen Box “Keith Jarrett: Mysteries, The Impulse Years, 1975–1976”) versammelt nun erstmals komplett und in digitaler Form die Aufnahmen des amerikanischen Quartetts, das bei einigen Einspielungen zusätzliche Unterstützung durch den Gitarristen Sam Brown und/oder die Perkussionisten Guilherme Franco und Danny Johnson erhielt. Jarrett selbst beschränkte sich nicht allein auf die Rolle des Pianisten, sondern griff gelegentlich auch zu anderen Perkussionsinstrumenten, seinem Sopransax oder einer indischen Flöte.
So exzellent, abwechslungs- und umfangreich wie Jarretts Werk für ECM auch ist, sollte man darüber doch nicht diese leider lange Zeit etwas stiefmütterlich behandelten Impulse!-Aufnahmen mit dem amerikanischen Ensemble vergessen. Es sind Aufnahmen, die auch dreißig Jahre nach ihrer Einspielung noch abenteurlich und unverbraucht klingen und für ein tieferes Verständnis von Keith Jarretts musikalischem Genie unentbehrlich sind.