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Keith Jarrett Trio – Whisper Not

05.07.1999
Seit seiner Gründung 1983 hat das “Standards”-Trio viele herausragende Aufnahmen veröffentlicht. Dieses Album ist für Keith Jarretts riesige Fangemeinde dennoch von ganz besonderer Bedeutung, da es sich um erste Aufnahme handelt, die der Pianist machte, nachdem er sich rund drei Jahre lang wegen gesundheitlichen Problemen zurückgezogen hatte. “Whisper Not” markiert seine triumphale Rückkehr auf die Konzertbühnen. In den drei Jahren, die er mit dem chronischen Erschöpfungssyndrom zu kämpfen hatte, gelang es Jarrett lediglich, in seinem Heimstudio das spartanische Album “The Melody At Night, With You” aufzunehmen. Dabei machte er aus der Not eine Tugend und konzentrierte sich – wie kaum ein anderer Jazzmusiker je zuvor – auf die melodischen Strukturen amerikanischer Jazzstandards und Folksongs. Paradoxerweise sollte sich diese Einspielung, die praktisch kaum Improvisationen enthielt, als eines der erfolgreichsten Alben des großen Improvisierers erweisen.
Jarrett sagt, daß die Erfahrungen, die er bei den Aufnahmen für “The Melody At Night, With You” machte, seine Art Balladen zu spielen geändert hat. Gegenüber der britischen Tageszeitung Guardian meinte er: “Ich verwandle Energie in Musik. Nun hat sich die also Qualität der Energie geändert und ich verwandle das, was von der Energie übriggeblieben ist, in etwas, das ich gerne schon früher entdeckt hätte. Wenn man  eine Menge Energie hat, tendiert man dazu, eine Menge Dinge spielen zu wollen. Ich hatte jetzt aber plötzlich nur noch genug Energie, um eine Sache zu machen. Das gab der Musik einen zenähnlichen Charakter – spiel die Melodie, aber spiel sie wirklich… ich habe einiges über das Klavierspielen gelernt. Das Herz bestimmt, woher die Musik kommt, und in dieser Einspielung steckt mehr Herz als Virtuosität.” In einem Interview mit dem amerikanischen Jazzmagazin Jazziz nahm Jarrett den gedanklichen Faden wieder auf: “Die Art, wie das Trio Balladen spielt, hat sich in letzter Zeit geändert. Das ist teilweise auf ‘The Melody At Night, With You’ zurückzuführen. Ich verspürte das Bedürfnis zu spielen, schaffte es aber nicht in meine alte Haut zu schlüpfen. Ich mußte einen völlig neuen Spielansatz finden, um die Befriedigung zu erhalten, die mir das Spielen zuvor gegeben hatte. Und dann entdeckte ich, daß weniger zu spielen mir tatsächlich mehr gab. Theoretisch hatte ich auch vorher schon immer gewußt, daß es funktionieren kann, wenn man sich allein auf die Melodie konzentriert.”
 
Und so kommt es, daß die Balladen, die das Trio vor dem enthusiastischen Pariser Publikum im Palais des Congrès zum Besten gab, eine besondere Lumineszenz besitzen: Benny Golsons “Whisper Not”, Billy Strayhorns “Chelsea Bridge”, Thelonious Monks “'Round Midnight”, “When I Fall In Love” von von Edward Heyman und Victor Young (das immer noch mit dem Bill Evans Trio assoziiert wird) und “All My Tomorrows”, ein von Jimmy van Heusen und Sammy Cahn geschriebener Song, den sich Shirley Horn zueigen machte. Dem Trio dienen diese großartigen Kompositionen hier nicht als Sprungbrett für weitschweifende Improvisationen, sondern dazu die Bedeutung der Originalmelodien zu unterstreichen. “Ich wollte so nah wie möglich an der Melodie dranbleiben, wenn diese genug hergab”, erläutert Jarrett. “Mittelmäßige Jazzmusiker neigen dazu, die Melodie schnell links liegenzulassen, ganz nach dem Motto: ‘Laßt uns flott die Melodie spielen, und dann legen wir richtig los.’ Die größere Kunst ist allerdings zu zeigen, was man aus der tatsächlichen Melodie herausholen kann.”
 
Bei den Uptempo-Nummern – und hier wieder vor allem bei jenen, die in erster Linie geschaffen wurden, um einen Bebopsolisten zu kreativen Höhenflügen anzustacheln – geht das Trio wiederum ganz anders vor. In Bud Powells “Bouncin' With Bud” sowie “Hallucinations”, Dizzy Gillespies “Groovin' High” und Clifford Browns “Sandu” demonstrieren Keith Jarrett, Gary Peacock und Jack DeJohnette Bebop auf höchstem Niveau. “Beim Bebop ist die Phrasierung eine eher vokale, weil die meisten Bebopper Blasinstrumente spielten”, meint Jarrett. “Ich wollte die Gelegenheit wahrnehmen, auf diese Weise zu phrasieren.” Das Ziel war tatsächlich, das Idiom Charlie Parkers auf das Piano zu übertragen, und Keith Jarrett ist einer der ganz wenigen Pianisten, die gewandt genug spielen, um dies zu schaffen.


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