Das US-amerikanische Streicherensemble Parker Quartet hat in der hiesigen Musiklandschaft noch nicht die Aufmerksamkeit erfahren, die es kraft seiner virtuosen Anlagen und poetischen Gestaltungsfähigkeiten eigentlich verdient. Gruppen, die über ein so hohes Maß an Präzision verfügen, dazu noch Entdeckerfreude und Eigensinn mitbringen, können als Seltenheit gelten. In Europa denkt man, wenn man nach einer Vergleichsgröße sucht, zuerst an das Danish String Quartet. Der individuelle Gestus, die Formstrenge und der ebenso coole wie elegante Auftritt rechtfertigen einen solchen Vergleich, bei allen klanglichen Differenzen.
In den Staaten ist die 2002 gegründete Gruppe aus Boston für ihren leuchtenden Ton und ihre unaufdringliche Virtuosität bekannt. Diese Fähigkeiten konnten Daniel Chong (Geige), Ken Hamao (Geige), Jessica Bodner (Bratsche) und Kee-Hyun Kim (Cello) sowohl bei romantischer Quartett-Literatur als auch bei Repertoire des 20. und 21. Jahrhunderts unter Beweis stellen.
“Präzision eines Uhrwerks”
Das Spektrum des Ensembles reicht von Beethoven und Mendelssohn über Granden der musikalischen Avantgarde des 20. Jahrhunderts wie Bartók oder Ligeti bis hin zu jüngeren Repräsentanten der Neuen Musik wie Jeremy Gill oder Augusta Read Thomas. Seinen bislang größten Erfolg feierte das Ensemble mit der Einspielung der Streichquartette von György Ligeti. Für das Album erhielt das Parker Quartet 2011 einen Grammy. FONO FORUM attestierte dem Ensemble daraufhin die “Präzision eines Uhrwerks”. So treffend das Urteil ist, darf es doch nicht vergessen machen, dass üppige Farbgebung und entfesseltes Musizieren ebenso zu den Spezialitäten der Gruppe zählen.
Vor dem Hintergrund seiner breitgefächerten Ausdrucksmöglichkeiten überrascht es nicht, dass sich das Parker Quartet für sein New Series-Debüt zwei Komponisten ausgesucht hat, die unterschiedlicher kaum sein könnten: der für seinen Melodienreichtum und seine sinnliche Fülle bekannte Romantiker Antonín Dvořák und der die Reduktion klanglicher Mittel bis an die Schwelle der Stille treibende Avantgarde-Komponist György Kurtág.
Special guest Kim Kashkashian
Umso erstaunlicher sind die Korrespondenzen, die beim Hören des Albums aufscheinen. Das Parker Quartet vermag sowohl bei Kurtág als auch bei Dvořák eigentümlich schwebende Stimmungen hervorzurufen. Bei Kurtág besonders eindringlich in der flüchtigen Klangpoesie von “… rappel des oiseaux …” aus den “Six moments musicaux” von 2005. Bei Dvořák vor allem im Scherzo seines 1893 komponierten Streichquintetts Nr. 3 in Es-Dur, unter Verstärkung der gelöst aufspielenden Bratschistin Kim Kashkashian, einer früheren Mentorin des Bostoner Ensembles.
Dennoch bleibt die nur schwer fassbare, zwischen lyrischer Intimität und plötzlicher Dramatik changierende Klangsprache György Kurtágs eine Welt für sich. Wie weit der Horizont dieser Welt reicht, offenbart sich, wenn man die unruhige Stimmung der Invocatio aus den Moments musicaux mit den feinen, sich in der Ferne verlierenden Linien des Larghetto aus Kurtágs älterem Streichquartett “Officium Breve” von 1988/89 vergleicht. Das mit dem Komponisten bekannte Parker Quartet zeigt sich mit solchen Gegensätzen wohlvertraut.