György Kurtág (geboren 1926) und György Ligeti (1923–2006) verband eine mehr als sechzig Jahre andauernde Freundschaft. “Lange Zeit, ein Menchenleben lang, ging Ligeti mir voraus”, sagte Kurtág. “Ich folgte ihm – manchmal unmittelbar und manches Mal erst Jahre oder gar Dekaden später. Ich nenne das mein ‘Imitatio Christi’-Syndrom. Die ersten Jahre unserer Freundschaft waren nicht nur von seiner intellektuellen Führung geprägt. Nach seinem Beispiel formte sich auch mein Geschmack.”
Gemeinsame Wurzeln, gegensätzliche Temperamente
Doch wie unterschiedlich sind die Oeuvres der beiden Künstler: Ligeti enorm produktiv, Kurtág sparsam in seinen Produktionen, äußerst selbstkritisch, entschlossen jede Note zu rechfertigen – “jeder Ton will verdient sein”, wie er es einmal formulierte. Kurtág und Ligeti hatten eine ähnliche künstlerische Herkunft: Sie teilten dieselbe Nationalität und eine tiefe Bewunderung für Bela Bartók, studierten gemeinsam in Budapest. Doch ihre gegensätzlichen Temperamente führten sie an unterschiedliche Orte. Ligetis Bezugsrahmen kann enzyklopädische Ausmaße annehmen. Innerhalb einer Komposition können höhere Mathematik, Volkstanz und jede erdenkliche Form von Absonderlichkeit zusammenfinden. Kurtág hingegen – aphoristisch, knapp, kryptisch – hat eine zögerliche Sprache der Miniaturen geschaffen.
Behutsame Synthese
Kim Kashkashian, eine der herausragenden Künstlerinnen von ECM New Series, widmet sich Kurtágs Werk für Viola seit mehr als 20 Jahren. Sie hat, wie Wolfgang Sandner in seinem Belgeittext zum Album würdigt, in ihren Darbietungen ein bemerkenswertes Gespür für das Verhältnis zwischen kompositorischer Substanz und klanglicher Nuance entwickelt. Auf dem vorliegenden Album, aufgenommen in der Propstei St. Gerold im Mai 2011, stellt Kashkashian Kurtágs und Ligetis Solowerke für Viola einander gegenüber. Hier mündet die aktuelle Version von Kurtágs Work in Progress “Zeichen, Spiele und Botschaften” in Ligetis Sonate. Dank Kashkashians behutsamer Lesart, so Sandner, erscheinen die Kurtág-Stücke und die Sätze der Ligeti-Sonate wie das Werk einer einzigen visionären Künstlerpersönlichkeit.