Bevor Leonard Bernstein im Jahre 1950 in Rom einige Sinfonien Gustav Mahlers dirigierte, redete er stundenlang mit den Orchestermusikern, um ihnen die Musik zu erklären: “… sie hatten sie nie zuvor gespielt und wussten über den Komponisten so gut wie nichts!” Anders als in Amerika kannte man Mahler in Europa damals bestenfalls als “Dirigenten, der ein paar Sinfonien geschrieben hat”.
Für Leonhard Bernstein jedoch war Gustav Mahler vom Anfang bis zum Ende seiner Karriere “ein Mann der Zukunft, der alles, was in der Welt nach seinem Tode passierte, in seiner Musik schon vorhergesagt hatte”. Kaum ein anderer Dirigent hat sich gedanklich so intensiv mit dem musikalischen Erbe des 1860 in Böhmen geborenen und 1911 in Wien verstorbenen Komponisten auseinandergesetzt. Tatsächlich war Mahler seinerzeit einer der berühmtesten Dirigenten der Welt, dessen Weg ihn 1907 auch nach New York führte. Dort leitete er ab 1909 ein eigens für ihn zusammengestelltes Orchester, das unter dem Namen “New York Philharmonics” Weltruhm erlangen sollte.
“Der Dirigent vertritt den Komponisten”
Dass Mahlers sinfonisches Werk inzwischen von so außerordentlicher Bedeutung für den weltweiten Konzertbetrieb ebenso wie für die Schallplattenindustrie werden sollte, ist zum großen Teil das Verdienst von Leonard Bernstein, dem aufgrund seiner akribischen und detailversessenen Aufnahmen und Konzerte der Ruf des bedeutendsten Mahler-Interpreten vorauseilte. Sein Credo: “Der Dirigent vertritt den Komponisten”. Bernsteins inniges, oft mit geschlossenen Augen und wie in Trance durchgeführtes, zuweilen wildes Dirigat begeisterte Publikum und Musiker gleichermaßen, denen er so das Gefühl für die Intensität der Musik geben wollte. In den Partituren Gustav Mahlers findet man oft “Aufmerkungen für den Dirigenten” mit genauen Anweisungen des Komponisten zur Spieltechnik und zur Interpretation. Mehr als jede andere, sagt Bernstein, sei Mahlers Musik voll von Vorschlägen und Anweisungen, die so verfasst sind, dass kein Dirigent sie ignorieren kann. Fernab jeglicher Routine waren Mahlers “Aufmerkungen” auch bei diesen Aufnahmen für Bernstein einziger Maßstab:"… damit ein Dirigent auch in dreißig Jahren noch sagen kann: ‚Hier steht es: so wollte der Komponist es haben".
Der jetzt als Vinyl-Box veröffentlichte gefeierte Mahler-Zyklus Leonard Bernsteins aus den 1980er Jahren wurde mit drei Orchestern aufgenommen, die selbst eng mit Mahlers kompositorischem und dirigierendem Schaffen verbunden sind: das Concertgebouworkest, das New York Philharmonic und die Wiener Philharmoniker. Als Solisten konnten damals Barbara Hendricks, Christa Ludwig und José van Dam gewonnen werden
Zeugnis herausragender künstlerischer Qualität
In jeder Beziehung ist dieser Zyklus besonders. Nicht nur, weil er Zeugnis einer herausragenden künstlerischen Qualität und der enormen emotionalen Wucht ist, mit welcher Leonard Bernstein sich des monumentalen sinfonischen Werkes von Gustav Mahler annahm.
Der ungeheure technische und logistische Aufwand, mit dem Deutsche Grammophon vor rund 40 Jahren die Mammutaufgabe der Produktion dieses Zyklus‘ anging, ist heute schwer vorstellbar – allein, das Ergebnis war atemberaubend gut! Sämtliche Aufnahmen entstanden als Live-Aufnahmen. Aber es wurden nicht einfach nur die üblichen Konzertmitschnitte veröffentlicht. Neben den Mitschnitten der Proben, der Generalprobe und mehrerer Konzerte gab es bei jeder Sinfonie unmittelbar nach den Konzerten noch sogenannte Patch Sessions, die denen Leonard Bernstein gemeinsam mit dem Recording Producer eventuell anfallende Korrekturen besprach und ausführte. Hinzu kommt, dass die Aufnahmen damals in die Zeit großer technischer Veränderungen fielen: die digitale Aufnahmetechnik brach sich Bahn und löste die analoge Technik ab. Zwei Aufnahmen in dieser Vinyl-Box sind denn auch analog aufgenommen worden, alle anderen digital, was eine besondere Herausforderung für das Remastering darstellte. Denn natürlich galt es, die Unterschiede möglichst gering zu halten. Übrigens erleben die Sinfonien Nr. 8 und 10 ihre allererste internationale DG-Veröffentlichung auf Vinyl. Abgerundet wird diese limitierte und nummerierte Deluxe-Edition durch das Original-Artwork der 16 LP, durch originale neue Liner Notes und durch Faksimiles der Aufnahmedokumentation.