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Leonard Bernstein: Menschenfreund und Stilikone

Leonard Bernstein
© Thomas R. Seiler
30.08.2018
Leonard Bernstein war kein Freund von Kompromissen, weder in der Musik noch im Leben. “Ganz oder gar nicht” lautete vielmehr seine Prämisse und so gab sich der Ausnahmekünstler mit dem messianischen Sendungsbewusstsein ganz seiner Leidenschaft für die Welt der Töne hin. Leonard Bernstein war vieles: Ein herausragender Pianist und ein fantastischer Pädagoge, ein wegweisender Komponist und ein brillanter Dirigent. Bei alledem war Bernstein aber immer auch ein ungemein nahbarer, überschwänglicher und mitunter sehr emotionaler Mann, der die Menschen mit seinem Charisma, seinem Charme und seinem Stil weit über die Musik hinaus in den Bann zog.

Die Musik als Lebenselexier

Die Musik war für Bernstein das Zentrum seines Lebens und es verging kein Tag, an dem er sich nicht in irgendeiner Weise mit ihr beschäftigt hätte. Gleichzeitig gab es bei ihm nie eine strikte Trennung zwischen Privat- und Berufsleben, zwischen Arbeits- und Freizeitphasen, zwischen musikalischer Partnerschaft und inniger Freundschaft. Vielmehr verschmolzen die verschiedenen Passionen des Künstlers ständig aufs Neue miteinander. Bernstein lebte sein Leben mit eben jener Intensität, Genussfreude und Grenzen auslotenden Hingabe, mit der er auch die verschiedensten Werke durchdrang. Askese und spröde Analyse lagen ihm dabei wenig, stattdessen war Bernstein ein lustvoller Genießer, der gerne und ausgelassen feierte und bis zu 100 Zigaretten pro Tag rauchte. Bei verschiedensten gesellschaftlichen Anlässen und Partys ein gern gesehener Gast, wurde der amerikanische Musiker mit seiner eleganten Erscheinung und seiner einzigartigen Aura bald zur Stilikone. Im ganz praktischen Leben kamen Bernsteins Brillanz und Kreativität allerdings mitunter an ihre Grenzen. So erzählte Justus Frantz, einer der engsten Vertrauen Bernsteins: “Lenny war ein Quell der Schöpfung und Einfälle. Er war voller Ideen und er hatte noch so viel zu leben und erlebbar zu machen. Doch in seiner intellektuellen Durchdringung der Welt vergaß er die ganz einfachen Dinge um sich herum. So viele in Mitleidenschaft gezogene Autos habe ich nicht mehr gesehen.”

Nahbarer Bühnenmensch

Als leidenschaftlicher Bühnenmensch wusste Leonard Bernstein seine Bekanntheit und Wirkungskraft zu nutzen und war als Dirigent und Musikvermittler nicht nur ein eindrucksvoller Interpret, sondern darüber hinaus ein brillanter Showmaster und Entertainer, der schnell zum Medienstar avancierte und nach seinen Auftritten traubenweise von Fans umringt wurde. Dabei war Bernstein ein begnadeter Kommunikator, der oft aus dem Moment heraus äußerst nahbar sein konnte. Nicht ohne Grund ließ ihm ein Freund vor einer Privataudienz bei Papst Paul VI. wohlweislich per Telegramm die Notiz zukommen: “Denk dran: Küss den Ring und nicht die Lippen.”

Magische Präsenz und musikalische Tiefe

Stand Leonard Bernstein am Dirigentenpult, strahlte er eine ungemeine Präsenz und natürliche Autorität aus, die selbst die größten Zweifler binnen kurzer Zeit in ihren Bann zogen. Als Bernstein mit gerade einmal 29 Jahren als erster US-amerikanischer Dirigent nach dem Weltkrieg eine Einladung nach München angenommen hatte, gab es unter den Musikern des Staatsorchesters anfangs noch Vorbehalte gegen den jüdischen Amerikaner. Doch nur eine halbe Stunde Proben genügte, um an deren Stelle maximale Bewunderung treten zu lassen. Bernstein galt fortan als “Hexenreiter” und eroberte auch in Deutschland die Herzen im Sturm. Die überragende Präsenz und Intensität, die Bernstein in jedem Detail seiner Gestik und Mimik ausstrahlte, machte auch vor Familienmitgliedern nicht Halt. So erinnern sich auch Bernsteins Tochter Nina und sein Sohn Alexander noch deutlich an die magische Aura ihres Vaters. Bei den Aufnahmen für die West Side Story hatten die beiden die gesprochenen Parts von Tony und Maria übernommen und Bernsteins Tochter schrieb später ehrfurchtsvoll: “Wir kannten all seine kleinen Hinweise aus Fernsehmitschnitten seiner Konzerte: die gehobene linke Augenbraue, das Nasenbeben, das Schulterzucken. Alles das war aber nichts im Vergleich dazu, nun selbst in Echtzeit den Befehlen seines Taktstocks Folge leisten zu müssen. Es war eine Erleuchtung.”
Bernsteins ebenso fordernden wie unterhaltsamen Probeneinheiten wurden schließlich Kult und der Dirigent gab hier alles: Mal tanzte er die Partituren vor, dann wieder machte er seinen berühmt gewordenen “Lenny leap”, einen beidbeinigen Luftsprung, mit dem er besonders ungestüme Phrasen in der Partitur begleitete. Mit seiner überbordenden Lebensfreude, seinem ansteckenden Enthusiasmus und seiner künstlerischen Genialität war Bernstein bei alledem schlussendlich ein überragender Lehrer, ganz nach seiner eigenen Definition. So sagte er einmal: “Ein großer Lehrer ist einer, der aus seinen Schülern Funken herausschlagen kann, Funken, an denen ihr Enthusiasmus für Musik schließlich Feuer fängt.” Bernstein ist das gelungen.

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