Insgesamt mehr als sechs Jahre hatte Ludwig van Beethoven an der neunten Sinfonie gearbeitet – der Beethoven–Biograf Anton Schindler berichtet, dass das Manuskript der Sinfonie in der Handschrift des Komponisten schließlich im Februar 1824 vorlag. Der Gedanken an eine bis dato unbekannte Form der Sinfonie musste Beethoven schon länger beschäftigt haben – Friedrich Schillers “Ode an die Freude” schien ihm letztlich geeignet für eine Sinfonie mit Chorfinale. Aber nicht nur der formale Aufbau macht das Werk zu etwas ganz Besonderem. Es ist auch sein inhaltlicher Ansatz – die Überwindung der Katastrophe durch den Triumph des Geistes – der mit einer so verblüffenden Direktheit, beinahe schon radikal zum Ausdruck kommt. Einmal mehr verlangt Beethoven seinen Protagonisten ein Maximum an musikalischem Können, an Empathie, an Leidenschaft ab.
Weltbürger auf dem musikalischen Thron
Wohl selten war ein musikalisches Werk besser geeignet, einen historischen wie emotionalen Moment würdigend und preisend zu zelebrieren als Beethovens “Neunte”. Allein die Zusammensetzung des Orchesters für das Konzert am 25. Dezember 1989 im Berliner Schauspielhaus am Gendarmenmarkt konnte symbolhaltiger nicht sein: Musiker aus beiden Teilen des jetzt wiedervereinten Deutschland, aus Amerika, der damaligen Sowjetunion, Frankreich und Großbritannien – jener vier Mächte also, die im vormals geteilten Berlin präsent waren – saßen gemeinsam an den Pulten. Mitglieder des Orchesters des Bayerischen Rundfunks, der Dresdner Staatskapelle, des russischen Kirow-Theaters, des London Symphony Orchestra, des New York Philharmonic, und des Orchestre de Paris zündeten unter der Leitung Leonard Bernsteins ein wahrlich historisches musikalisches Feuerwerk. Dem phantastischen Ensemble gehörten auch der Chor des Bayerischen Rundfunks, Mitglieder des Rundfunkchores Berlin und der Kinderchor der Philharmonie Dresden sowie das Solistenquartett mit June Anderson, Sarah Walker, Klaus König und Jan-Hendrik Rootering an. Und so beschrieb der Journalist Klaus Geitel das Ereignis: “Bernstein wurde für die Spieldauer der Symphonie mehr als ihr Dirigent, nämlich zu so etwas wie dem regierenden Präsidenten über diese ganz und gar außergewöhnliche historische Stunde: ein Weltbürger auf dem musikalischen Thron.”
“Beethoven hätte uns seinen Segen gegeben”
Es war dem Anlass des Konzerts geschuldet, dass Leonard Bernstein selbst sich berufen fühlte, in den berühmten Schiller-Text einzugreifen. “Ich glaube”, sagte er, “dies ist ein Augenblick, den der Himmel gesandt hat, um das Wort ‘Freiheit’ immer dort zu singen, wo in der Partitur von ‘Freude’ die Rede ist. Wenn es je einen historischen Augenblick gegeben hat, in dem man um menschlicher Freude willen eine akademische Theorie-Diskussion vernachlässigen darf – jetzt ist er gekommen, und ich bin sicher, dass Beethoven uns seinen Segen gegeben hätte.” Dass die Solisten und der Chor letztlich “Freiheit, schöner Götterfunken” sangen, verlieh dem Konzert nicht zuletzt auch seinen Namen: “Freiheitskonzert”.
Mit der Wiederveröffentlichung der Aufnahme der "Ode an die Freiheit" kommt nun auch noch die Wirkung der Bilder einher, die damals um die Welt gingen – in über 20 Länder wurden sie übertragen, von Deutschland über Italien, Israel, Mexico, Japan bis nach Neuseeland. Und wer nicht allein schon von der Erhabenheit und Leuchtkraft der Musik gefesselt ist – spätestens das Erlebnis, Leonard Bernstein sprichwörtlich bei der Arbeit zusehen zu können, dürfte auch die Letzten von den Sitzen reißen, so wie seinerzeit alle Besucher dieses Konzertes.