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Leonidas Kavakos im Interview

25.02.2005
Nachdem wir letzte Woche drei Neuerscheinungen aus der ECM New Series Reihe vorgestellt haben, die einen Blick werfen auf das “Licht der Klänge”, das im 20. Jahrhundert aus Russland kommt, lassen wir diese Woche einen der Künstler selbst zu Worte kommen. Im KlassikAkzente-Interview: Leonidas Kavakos über seine musikalischen Wurzeln, Improvisation, Interpretation und Erfolg.
Klassik Akzente: Sie stammen aus einer Musikerfamilie. Inwiefern wurde dadurch Ihre Laufbahn vorbestimmt?
Leonidas Kavakos: Diese Umgebung hat meine musikalische Entwicklung natürlich sehr stark beeinflusst. Allerdings kann eine musikalische Familie oft gefährlich für die Kinder werden, z.B. wenn die Eltern ihre Ambitionen auf die Kinder übertragen. Aber ich hatte Glück, denn meine Eltern waren weise und außerdem wussten sie schon gut, wie das System funktioniert. So haben sie mich gleichzeitig gefördert, aber auch vor Fallen und Problemen geschützt.
Klassik Akzente: Und die Musik, die Ihr Großvater spielte, hat die Sie auch beeinflusst?
Leonidas Kavakos: Sehr stark. Die Volksmusik ist in ihren Formen, Rhythmen und Weisen sehr modern. Die Volksmusik Griechenlands ist sehr reich an Melodien und so unterschiedlich in jeder Region. Sie ist sehr eng mit der Geschichte und der kulturellen Entwicklung des Landes verbunden. Auch mit der Entwicklung der Sprache, denn einige Texte sind wahre Juwelen der Poesie.
Klassik Akzente: In der Volksmusik ist die Improvisation sehr wichtig. Das ist doch in der klassischen Musik heute anders …
Leonidas Kavakos: Auch die klassische Musik beruht auf Improvisationen. Es gibt kein Werk und kein Komponist, der sich nicht der Improvisationstechnik bedient hat.
Klassik Akzente: Gibt es außer dem Faktor Volksmusik weitere Aspekte, die Ihre Lesart bestimmen? Wie nähern Sie sich neuen Werken an?
Leonidas Kavakos: Am Anfang ist der Rhythmus und die Harmonie. Der Komponist holt den Stoff seiner Werke entweder von der Volksmusik oder von den aktuellen Strömungen seiner Zeit, sei es aus Barock, in der Romantik, aus dem Neoklassizismus etc. Durch das Komponieren stellt der Komponist das Schöne dar. Oder besser gesagt: er enthüllt es. Dieser Moment ist magisch. Die Herausforderung für den Interpreten ist es, diese Magie und diesen Enthüllungsvorgang durch sein Spiel für seine Hörer wieder herzustellen.
Klassik Akzente: Seit 2001 sind Sie Principal Guest Artist der Camerata Salzburg. Welche Aufgaben sind damit verbunden?
Leonidas Kavakos: Ich dirigiere das Orchester. Es ist für mich ein großes Glück, dass ich mit einem so guten und wichtigen Orchester meine ersten Schritte als Dirigent machen darf. Natürlich ist das gleichzeitig eine sehr große Verantwortung, denn meistens dirigiere ich Werke das erste Mal direkt in Wien oder Salzburg.
Klassik Akzente: Wie ist die Zusammenarbeit mit den Orchestermusikern aus der Warte des Dirigenten?
Leonidas Kavakos: Ich glaube an eine geistige Hierarchie beim Musizieren. Und ich denke, dass der Orchestermusiker von einem Dirigenten erwartet, dass er eine eigene Vision des Werks besitzt und auch, dass der Dirigent weiß, wie er diese seinen Musikern vermitteln kann. Wenn ich Geige spiele, kontrolliere ich fast 100prozentig, was ich tue. Wenn ich dirigiere, kann ich nur zeigen, was ich will. Daraus entsteht ein psychologisches Spiel, welches faszinierend und gleichzeitig sehr konstruktiv sein kann. Denn als Solist macht man Dinge oft instinktiv. Aber, wenn man Musiker zu einer Interpretation leiten und helfen muss, lernt man seinen Instinkt zu deuten und seine Gedanken zu erkennen und zu formulieren. Das ist eine pädagogische Tätigkeit für mich und für die Musiker. Und das ist eine erstaunliche Erfahrung!
Klassik Akzente: In Athen leiten Sie seit vielen Jahren Ihren eigenen Kammermusikzyklus, ihr neue CD auf ECM New Series ist Kammermusik von J. S Bach und Strawinsky gewidmet …
Leonidas Kavakos: Die Kammermusik bietet ein phantastisches und sehr bedeutsames Repertoire. Sie zu vernachlässigen, wäre ein ganz großer Fehler. Dieser Gedanke und auch das Phänomen, dass dieses Repertoire oft unterschätzt wird, haben mich zu diesem Kammermusikzyklus motiviert.
Klassik Akzente: Wird Kammermusik von den Konzertveranstaltern vernachlässigt, weil sie anspruchsvoller und deshalb nicht kommerziell genug ist?
Leonidas Kavakos: Meiner Meinung nach gehen viele Leute heutzutage ins Konzert und wollen viele Leute auf der Bühne sehen. Unsere Zeit ist eine Zeit der Fanfare und der Oberflächlichkeit. Das bedeutet natürlich nicht, dass ein Konzert mit einem sinfonischen Orchester oberflächlich ist. So ist die Haltung vieler Besucher. Man sollte ins Konzert gehen, weil man ein bestimmtes Werk hören will. Oder einen bestimmten Künstler erleben. Ein weiterer Grund für die Vernachlässigung der Kammermusik beruht auf der musikalischen Bildung: Die Mehrheit der professionellen Musiker üben, um große Solisten zu werden. Und dadurch unterschätzen und vernachlässigen sie die Kammermusik zwangsläufig.
Klassik Akzente: Der Verlauf Ihrer Karriere bisher war relativ langsam, wenn man bedenkt, dass Sie schon mit achtzehn den Sibelius- und keine drei Jahre später auch den Paganini-Wettbewerb gewonnen haben. War das eine bewusste Entscheidung?
Leonidas Kavakos: Keine Entscheidung bestimmt eine Karriere. Das ist eher eine Mischung aus vielen Faktoren. Ganz wichtig ist das Glück – neben der Ambition und dem Talent. Meine Meinung ist: Der Künstler braucht Zeit, muss Erfahrungen sammeln, muss sich bilden, sein Leben leben, Repertoirewissen erlangen und reif werden. Die Karriere dagegen ist wie Spitzensport. Sie ist sehr hart, skrupellos und manchmal sogar unmoralisch. Es braucht viel Weisheit, um mit diesen Aspekten klar zu kommen. Ich war nie ungeduldig und eigentlich hat es mich nie interessiert, Karriere zu machen. Ich wollte spielen und mich als Künstler weiter entwickeln. Deshalb waren meine Schritte vorsichtig und überlegt. Es gibt natürlich andere, die innerhalb von drei Jahren alles geschafft haben. Das ist mir egal.
Klassik Akzente: Also kein Neid auf die Shooting Stars?
Leonidas Kavakos: Keineswegs. Meine Philosophie ist da eine andere. Ich wollte immer konsequent bleiben und mich kontinuierlich so entwickeln, dass jede dazu gewonnene Erfahrung meinem eigenen Niveau entspricht. Man muss vorsichtig sein, denn, wenn die Karriere zu laufen beginnt, ist es unmöglich, sie zu stoppen. Und wenn man nicht reif genug ist dafür, kann man sie auch kaum kontrollieren. Außerdem ist meine Devise: Es ist besser, man erreicht alles mit 40 oder mit 50 als mit zwanzig.
Klassik Akzente: Weil man dann Dinge besser einschätzt?
Leonidas Kavakos: Nicht nur. Auch weil man sie viel mehr genießt. Man arbeitet darauf hin, man träumt davon und hofft und sehnt sich danach. Und wenn dann das Ziel erreicht wird, ist der Erfolg um so süßer. Und erst am Ende des Tages kann man wirklich beurteilen, ob man eine große Karriere gemacht hat oder eben nicht.

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