Neuerscheinungen von Lisa Batiashvili haben es in sich. Die georgische Geigerin befindet sich auf dem Zenit ihres Schaffens. Was auch immer in ihre Hände gelangt: Es wird zu Gold.
Gefühl, Verstand, Virtuosität: Lisa Batiashvili
Dabei weiß Lisa Batiashvili sehr genau, was sie tut. Sie folgt nicht allein ihrer Intuition, sondern reflektiert auch mit wachem Verstand ihr Repertoire. Sie möchte wissen, was sie spielt. Sie sucht es mit allen Fasern ihres künstlerischen Wesens zu durchdringen. Es reicht ihr nicht, die Technik virtuos zu beherrschen und neue Akzente zu setzen. Batiashvili gräbt tiefer. Sie will an die Wurzel dessen, was einen Komponisten auszeichnet.
Sergei Prokofjew verlangt höchste Anspannung und ein breites Spektrum an Fähigkeiten: Gefühl, Verstand, Virtuosität, ein Sinn für Poetisches, romantisch-träumerische Gaben, aber auch eine Leidenschaft für den heftig pochenden Takt der Moderne. All dies ist nötig, um den Wurzelgrund von Prokofjews hoher Kunst freizulegen, und Lisa Batiashvili hat das Zeug dazu.
Sie vereint in ihrer Person all diese Anlagen, und gemeinsam mit dem Chamber Orchestra of Europe unter der Leitung von Yannick Nézet-Séguin führt sie in ihrem neuen Album eindrucksvoll vor, was es heißt, den Stier bei den Hörnern zu packen. Dass Prokofjew ein Gigant des 20. Jahrhunderts ist, darüber kann kein Zweifel bestehen.
Diese fiebrige Sehnsucht: Sergei Prokofjew
Als ein Komponist, den noch romantische Empfindungen anwehen, der aber auch schon den scharfen Wind der Moderne im Gesicht spürt, schöpft Sergei Prokofjew eine fiebrige, durch scharfe Kontraste schillernde Klangkunst. Zartes und Wildes, Hitzewallungen und Kälteströme liegen bei ihm nah beieinander, und Lisa Batiashvili stellt schon zu Beginn ihres Albums elegant unter Beweis, dass die schroffe Heftigkeit des hochproduktiven Russen mit seiner leidenschaftlichen Inbrunst verschmolzen werden kann.
Mit dem furiosen “Tanz der Ritter”, von Robbie Williams und etlichen Indie-Bands wie The Smiths oder Tears for Fears adaptiert, marschiert sie unaufhaltsam los. Das Stückt entstammt dem Ballett “Romeo und Julia”. Lisas Vater, Tamás Batiashvili, hat es neben Ausschnitten aus den Ballettmusiken “Cinderella” und “Die Liebe zu den drei Orangen” für Violine solo und Orchester bearbeitet. Dass es sich gelohnt hat, beweist das Album nach allen Regeln der Kunst. Der kühle Charme, mit dem Lisa Batiashvili den “Tanz der Ritter” zelebriert, ist überwältigend.
Gipfelstürme: Die Kunst, aufs Ganze zu gehen
Danach keimt aber auch Sehnsucht nach wärmeren Tönen auf, die Prokofjew eben auch zu bieten hat. So im Kopfsatz des ersten und im Mittelsatz des zweiten Violinkonzerts, deren lyrische Akzente Lisa Batiashvili kongenial zu setzen weiß. Das bereitet Gänsehaut. Kaum jemand bringt heute so sicher, so wohlproportioniert starke Emotionen in der Musik zum Ausdruck wie Lisa Batiashvili.
Im “Großen Walzer” aus “Cinderella” und im “Großen Marsch” aus “Die Liebe zu den drei Orangen” offenbart die furiose Geigerin dann schließlich neben ernsten auch skurrile und ironische Momente. “Die drei Ausschnitte aus den berühmten Bühnenstücken”, resümiert sie, “präsentieren die Geige in ganz unterschiedlichen Rollen. Sie machen aber auch deutlich, dass es Prokofjew verstand, auf höchstem Niveau wirkliche Hits zu produzieren.”