Lorin Maazel | News | Elektrisierend – Frühe Aufnahmen von Lorin Maazel

Elektrisierend – Frühe Aufnahmen von Lorin Maazel

Lorin Maazel
© Deutsche Grammophon
04.02.2015
Als der große Arturo Toscanini ihn einlud, das NBC Symphony Orchestra zu dirigieren, da war Lorin Maazel gerade einmal 11 Jahre alt. Und wenn man bedenkt, was für ein strenger Lehrmeister der italienische Stardirigent war, dann ist eines klar: Bei dem Projekt handelte es sich nicht um eine Spielerei oder einen PR-Gag. Toscanini hatte die musikalische Ausnahmebegabung des jungen Lorin erkannt. Er hatte ihn schon dirigieren sehen und nahm ihn als musikalische Persönlichkeit ernst.

Das Wunderkind

Der Knabe enttäuschte den Meister nicht. Obwohl sich das Experiment als schwierig erwies, wurde es am Ende ein großer Erfolg. Die Orchestermusiker waren aus Protest, von einem Kind dirigiert zu werden, in kurzen Hosen und mit Lollipops erschienen. Doch der junge Lorin bewahrte die Contenance, und spätestens als er die Probe unterbrach, weil er falsche Töne gehört hatte, war ihm der Respekt des Orchesters sicher. Die Musiker wussten jetzt: Sie haben es mit einem Wunderkind zu tun, und nichts nötigt einem Musiker mehr Respekt ab als ein blutjunger Mensch, der mit den Musen in Kontakt steht.    

Im Alter von 15 Jahren legte er den Taktstock dann aber erst einmal beiseite und nahm an der University of Pittsburgh ein Studium der Orchesterleitung auf. Doch die ausschließliche Beschäftigung mit dem Dirigieren befriedigt ihn auf Dauer nicht. Maazel, der bereits mit 5 Jahren Klavier- und Geigenunterricht erhalten hatte, ist auch noch ein begnadeterer Geiger. Außerdem komponiert er leidenschaftlich gerne. Aber auch das ist dem Universalgenie, das eine schier unendliche Aufnahmefähigkeit zu haben scheint, noch nicht genug. Der junge US-Amerikaner studiert zusätzlich noch Mathematik, Philosophie und Sprachen.  

Geiger am Pult

Schon in seinen 20ern tourt er dann durch die Welt und avanciert schlagartig zum Stardirigenten. Jahre des musikalischen Reifens und Verfeinerns folgen, und spätestens mit Mitte/Ende 20 kann Lorin Maazel sowohl musikalisch als auch intellektuell aus dem Vollen schöpfen. Genau in diese Zeit zwischen seinem 27. und 35. Lebensjahr, die als vorläufiger Zenit seines Schaffens gelten kann, fallen die zahlreichen Aufnahmen, die er im Dienste der Deutschen Grammophon unternahm und die jetzt erstmals in gebündelter Form vorliegen. Das Hörerlebnis ist außerordentlich. Man kann Lorin Maazel hier als einen Dirigenten bewundern, der all seine geistigen und künstlerischen Gaben in den Prozess des Musizierens einbringt.  

Dabei spürt man deutlich, dass man es mit einem Geiger am Pult zu tun hat. Maazel ist ein Meister gesanglicher Passagen und langer Linien, und das kommt insbesondere seinen Einspielungen der Sinfonien von Beethoven (Nr. 5 und 6), Schubert (Nr. 2, 3, 4, 5, 6 und 8 “Die Unvollendete”), Mendelssohn (Nr. 4 und 5 “Reformation”), Brahms (Nr. 3) und Tschaikowski (Nr. 4) zu Gute. Der amerikanische Dirigent hat all diese Aufnahmen mit den Berliner Philharmonikern gemacht, und er ringt dem Orchester eine fließende Melodik ab, die in Kombination mit der harmonischen Transparenz absolut elektrisierend wirkt. Kälte- und Wärmeströme, intellektuelle Durchdringung und poetische Leidenschaft verbinden sich hier auf zwingende Weise.

Edle Edition

Das gilt in exemplarischer Weise auch für die Sinfonien von Mozart (Nr. 1, 28 und 41 “Jupiter”/ R.T.F. Orchestre National), die Sinfonie von Franck (d-Moll/Radio-Symphonie-Orchester Berlin), die Opern von Ravel (L’Heure espagnole u.a./R.T.F. Orchestre National) oder für Prokofievs musikalisches Märchen (Peter und der Wolf/Orchestre National de France). Die rhythmische Genauigkeit, die er diesen Werken angedeihen lässt, sucht in der Aufnahmegeschichte ihresgleichen, und man versteht sofort, welch atemberaubende Kraft in einem streng sezierten Takt verborgen liegen kann und warum Maazel auf den Takt so viel Wert legte. Maazels Rhythmik ist ein Verstärker der musikalischen Poesie! Liebhaber des Rhythmischen werden hieran ihre wahre Freude haben. Aber auch Sammler und Freunde elegant präsentierter Editionen kommen auf ihre Kosten. Die 18 CDs der Ausgabe sind in einer handlichen Box stilsicher verpackt und enthalten ein sorgfältig ausgearbeitetes Booklet. Darin finden sich Fotos des jungen Maazel, die den Dirigenten in seiner charismatischen Gestalt wieder aufleben lassen. Ferner sind die Originalcover der jeweiligen Erstveröffentlichungen zu bestaunen, und ein 44-seitiger Essay aus der Feder von Tully Potter schildert schließlich eindringlich die musikalische Entwicklung des Meisters.     

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