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Spannungsgeladen – Lorin Maazel und das Cleveland Orchestra

Lorin Maazel
© Decca
06.10.2014
Man kann nicht sagen, dass er mit offenen Armen empfangen wurde. Er musste sich das Vertrauen und die Kooperation des Orchesters erst erkämpfen. Lorin Maazel war als Nachfolger des großen George Szell nicht der Wunschkandidat der Musiker des Cleveland Orchestra. Sie waren zwar nicht wahlberechtigt gewesen. Aber sie hatten sich in einer Meinungsumfrage überdeutlich für den ungarischen Dirigenten István Kertész ausgesprochen. Maazel war gerade einmal auf zwei von 98 Stimmen gekommen.

Vom Wunderkind zum Stardirigenten

Doch nicht etwa, weil er für den Posten nicht qualifiziert gewesen wäre. Er hatte sein Pultdebüt schon als Achtjähriger gegeben und vor dem Eintritt ins Teenageralter alle namhaften Orchester der USA dirigiert. Im internationalen Klassikbetrieb galt er längst als Star, der mit bedeutenden Klangkörpern Meriten gesammelt hatte, etwa mit Orchestre National de France und an der Deutschen Oper Berlin. Die Berufung Maazels 1972 war nicht zuletzt von Pierre Boulez, dem brillanten Komponisten und Dirigenten, der nach Szells Tod als musikalischer Berater des Cleveland Orchestras fungierte, befürwortet worden.

Erstaunliche Souveränität

Maazel wurde für seine außergewöhnlich nuancierte Schlagtechnik bewundert. Er beherrschte ein gewaltiges Repertoire und war mit einem fotografischen Gedächtnis gesegnet, das es ihm erlaubte, die meisten Partituren auswendig zu dirigieren. “Die Souveränität im Umgang mit schwierigsten Partituren, die Virtuosität der Orchestersteuerung rufen noch heute Erstaunen hervor”, schreibt Wolfgang Schreiber in “Große Dirigenten” über Maazel. Als Interpret war er jedoch das komplette Gegenteil seines hoch angesehenen Vorgängers in Cleveland.

“Freiheit durch Disziplin”

Während Szell alles daran gesetzt hatte, dem Willen des Komponisten gemäß zu handeln, galt Maazel als Dirigent, der die Partitur als Vehikel für den Ausdruck seiner eigenen Persönlichkeit nutze. “Ich glaube nicht an die mechanische Reproduktion dessen, was auf Papier gedruckt ist”, sagte Maazel einmal. “Die alten Griechen haben uns gelehrt, dass man Freiheit durch Disziplin erlangt. Zuerst muss der Dirigent alles wahrgenommen und verinnerlicht haben, was der Komponist aufgeschrieben hat. Dann darf er Gebrauch von seiner Freiheit machen – wobei es sich eigentlich nicht um eine Freiheit handelt, sondern um eine Interpretation dessen, was der Komponist nach Meinung des Dirigenten wirklich zu sagen versuchte.”

Zehn Jahre in Cleveland (1972–1982)

Obwohl die Verbindung zwischen dem selbstsicheren Maestro und dem Orchester George Szells von der New York Times als “klassische Fehlpaarung” bezeichnet worden war, hielt sie doch zehn schwierige Jahre lang. Es gelang Maazel trotz der Kontroversen um seine Ernennung und seinen kapriziösen Musikgeschmack, die Qualität des Orchesters aufrechtzuerhalten, indem er rigoros auf Disziplin setzte und herausragende Solisten engagierte.

Intensive und erfolgreiche Arbeit

Maazel gelangen in Cleveland legendäre Konzerte und Aufführungen von Bühnenwerken, wie Strauss' “Elektra” und Gershwins “Porgy & Bess”. Er rief eine innovative Reihe für zeitgenössische Musik ins Leben, machte Bestseller-Aufnahmen, führte das Orchester auf zehn internationale Tourneen und gewann die Abonnenten zurück, die dem Orchester nach Szells Tod den Rücken gekehrt hatten. 1982 verlies er Cleveland, um den prestigeträchtigen Posten des Direktors der Wiener Staatsoper anzutreten.

Sämtliche Aufnahmen mit dem Cleveland Orchestra

Lorin Maazel ist am 13. Juli 2014 im Alter von 84 Jahren gestorben. Im Gedenken an den großen Dirigenten gibt Decca nun die limitierte Edition “Lorin Maazel – The Cleveland Years Complete Recordings” mit sämtlichen Aufnahmen der Jahre 1972 bis 1982 auf 19 CDs heraus. Maazel konzentrierte sich in den Aufnahmen mit dem Cleveland Orchestra ganz auf Werke der Romantik und der frühen Moderne, die er mit seinem auf “kraftvolle Transparenz” und “filigrane Satzstrukturen” zielenden Stil (Schreiber) meisterhaft zu interpretieren verstand. Das Repertoire reicht von Berlioz' Requiem, über die Symphonien Brahms', Debussys “La Mer” bis Prokofieffs “Romeo und Julia op. 64” und Elgars Cellokonzert op.85.

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