Wer hätte gedacht, dass ein Abend mit
Ludovico Einaudi, dem Meister der ruhigen, meditativen, besinnlichen Töne, so abenteuerlich beginnen würde. Der italienische Pianist und Komponist richtete am Dienstag die letzte
Yellow Lounge des Jahres aus, in der
Musikbrauerei an der Berliner Greifswalder Straße, Kapazität: 400 Personen – eigentlich großzügig für die beliebte Klassik-im-Club-Konzertreihe angelegt. Am frühen Abend hatte sich vor dem Gebäude eine Schlange gebildet, die wuchs und wuchs. Um 21:00 Uhr standen nahezu 2000 Menschen um drei Häuserblocks. Passanten und Taxifahrer hielten an und erkundigten sich, was hier los sei. Einaudi, der im Oktober sein neues Album
“Elements” veröffentlicht hat, war zum Blockbuster geworden. Wer noch nicht glaubte, dass er zu den “erfolgreichsten lebenden Komponisten” (The Independent) zählt, bekam den Beweis. Zum ersten Mal wurde an diesem Abend ein Yellow-Lounge-Konzert live gestreamt – ein kleiner Trost denen, die keinen Einlass bekamen.
Kurz nach 22:00 Uhr betrat er gemeinsam mit dem
Geiger Frederico Mecozzi und dem
Cellisten Redi Hasa die Bühne, und mit den ersten Tönen verflüchtigte sich alles andere. Das Trio flutete den luftigen, resonanzstarken Saal der ehemaligen Fabrikhalle mit Einaudis Musik zwischen Klassik, Soundtrack, Ambient, Weltmusik und New Age. Sie klingt jedem vertraut, selbst wenn man sie zum ersten Mal hört. Vielleicht ist dies das Geheimnis seines Erfolgs: Einaudi versteht schon in der Stille vor dem Ton, wonach der Hörer sucht, er ist ein Einfühler, Piano-Flüsterer, er schafft gleichermaßen einen Sehnsuchts- und einen Zufluchtsort. Das Publikum ließ sich da reinfallen, lauschte so konzentriert, dass es knisterte.
Persönlich bescheiden, sparte sich der 60-Jährige seine großen Hits (wie “Una Mattina”, “Il Giorni” und so viele andere), um stattdessen fast ausschließlich sein jüngstes Oeuvre
“Elements” in einer Live-Version vorzustellen: Höhepunkte waren das streicherbetonte, obertonschwebende
“Petricor” (auf dem Album mit eingespielt vom britischen Stargeiger Daniel Hope) und das basslastige Titelstück, bei dem die Backsteinwände der Halle bebten. Am Ende des ersten Sets rief er herzlich aus, wie sehr er sich über den Abend freue, wie schön es sei, so nah am Publikum zu sein: kein bisschen Koketterie.
Im zweiten Set ließen sich Einaudi und Co vom Berliner Elektronik-Musiker
Robert Lippok (To Rococo Rot) verstärken, der auch Gastmusiker auf dem Album ist. Wer die Aufnahmen kannte, durfte sich hier über ungeahnt spacige Versionen von
“Mountain” und
“Numbers” freuen. Mit dem vielleicht besten Stück von “Elements”, dem mitreißend eingängigen, geradezu hypnotischen “Twice” entließ der italienische Klangvisionär das Publikum. Weiter ging es mit Robert Lippok und
DJ Cle am Pult. Mit beeindruckenden Visuals bespielten VJs der
Pfadfinderei den Club.
Wirklich Glück hatte, wer ihn am Dienstag in diesem vergleichsweise kleinen Rahmen erleben durfte! Im Februar 2016 kommt
Ludovico Einaudi für zehn Konzerte wieder nach Deutschland, unter anderem in die
Berliner Philharmonie und die
Hamburger Laeiszhalle.