Manch eine Neigung verspürt man schon im Kindesalter. Es reicht ein kurzer Augenblick, eine flüchtige Begegnung, und schon weiß man: Von dieser Sache möchte ich mehr erfahren. Das möchte ich wissen.
Spontan verliebt
So oder ähnlich muss es
Mahan Esfahani ergangen sein, als er zum ersten Mal ein Cembalo sah. Wohlgemerkt: sah, nicht hörte! Noch keine 10 Jahre alt, blätterte der kleine Junge gedankenverloren in einem Musikbuch, als er plötzlich auf ein Bild von
Johann Sebastian Bach stieß. Der fremd anmutende Mann saß an einem Instrument mit zwei Manualen. Was für ein merkwürdiger Mensch, dachte der kleine Mahan, mit dieser Perücke und dem unbekannten Instrument.
“Bach”, so Esfahani gegenüber Tim Cooper, “erschien so anders, so exotisch. Ich hatte noch nie ein Cembalo gehört. Mein Vater lachte und sagte, es sei ein totes Instrument. Aber mich hatte es gepackt.” Und als wollte er den Vater um jeden Preis widerlegen, beginnt hier wahrscheinlich schon seine Mission. Jedenfalls wird er gegen alle äußeren Widerstände den Weg zu seinem Instrument finden. Die sorgsamen Eltern, persische Einwanderer in Amerika, haben ursprünglich andere Pläne für den Jungen, der zunächst Medizin studiert.
Wahre Leidenschaft
Bereits nach zwei Wochen wechselt er zu Jura, das er ebenfalls abbricht. Schließlich studiert er Musikwissenschaft, und weshalb er dies tut, ist klar. Es geht um das Cembalo, um nichts anderes. Esfahani, der inzwischen zu einem soliden Orgel- und Klavierspieler herangereift ist, lässt sich von Professor George Houle in der Kunst des Instruments unterweisen, und der ermutigt ihn, die Laufbahn eines Cembalisten einzuschlagen. Jahrelang übt er wie besessen. Sein Spiel wird immer besser. Immer feiner entwickelt sich seine Technik. Immer tiefer dringt er in die ferne und doch so vertraute Klangatmosphäre des geliebten Instruments ein.
Der Lohn für seine Unnachgiebigkeit: eine steile internationale Karriere, die im Jahre 2011 mit seinem bahnbrechenden Auftritt bei BBC Proms ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Doch Esfahani will mehr. Er will weiter. Sein Lebensprojekt, den unvergänglichen Schönklang des Cembalos unter Beweis zu stellen, hat gerade erst begonnen. Und sein soeben erschienenes Album “Time present and time past”, mit dem er jetzt in einer Archiv Produktion bei Deutsche Grammophon debütiert, dürfte ein Meilenstein auf diesem Weg sein.
Unwiderstehliche Klangwelten
Das Album schlägt einen Bogen von alter zu neuer Musik, von barocker, kontrapunktischer Kunst zu minimalistisch konzipierten Werken des späten 20. Jahrhunderts. Mit
Scarlatti, Geminiani, dem alten Bach und
Carl Philipp Emanuel Bach führt Esfahani die harmonischen Klangschönheiten des Barock und der aufkeimenden Empfindsamkeit vor. Werke wie das
Cembalo-Konzert in d-Moll von Johann Sebastian Bach oder das
Concerto grosso in d-Moll von
Francesco Geminiani, die Esfahani mit dem souveränen Kammerensemble Concerto Köln aufgenommen hat, leben von ihrer harmonischen Pracht und höfischen Eleganz.
Wenn der amerikanisch-iranische Cembalist dann mit Henryk Gorecki und Steve Reich moderne Komponisten interpretiert, erlebt man das Cembalo von seiner ebenso schrillen wie meditativen Seite. Steve Reichs “Piano Phase for Two Pianos” hat Esfahani selbst für Cembalo transkribiert, wovon sich der Komponist begeistert zeigte. Das Werk klingt zunächst wie eine Bach-Fuge, die man nach den ersten Takten angehalten hat und dann scheinbar unendlich oft wiederholt. Dabei nimmt die Komposition fast unbemerkt immer komplexere Formen an. Es entsteht eine regelrechte Klangekstase, der man sich kaum entziehen kann.
Goreckis Konzert für Cembalo und Streichorchester ist, wie Esfahani es ausdrückt, von “harscher Intensität”, was der direkten Klangkraft des Cembalos entgegenkommt. Esfahanis Spiel ist ehrlich, unverschnörkelt und kühn. Es stellt unmissverständlich klar: Das Cembalo lebt!