Marc Minkowski | News | Ohne Puder und Perücke: Minkowski - Rousset - Cleobury - Ensemble Piffaro

Ohne Puder und Perücke: Minkowski - Rousset - Cleobury - Ensemble Piffaro

14.02.2001
Marc Minkowski, Christophe Rousset und Ian Bostridge beweisen in einer ganzen Reihe von Aufnahmen wieder einmal: Bei Alter Musik ist der Zopf ab.
Jean-Baptiste Lully war zwar schon seit 1687 tot, seine Musik aber löste heftigen Streit aus. Als Jean-Philippe Rameau 1739 seine Oper “Dardanus” zur Aufführung brachte, war die Kunstdebatte zwischen den konservativen Anhängern Jean-Baptiste Lullys und der temperamentvollen, formenverspielten Linie, wie sie auf den Bühnen Italiens schon lange gefeiert wurde, auf ihrem Höhepunkt. Doch mit seiner ersten Fassung konnte sich Rameau in diesem “Querelle des anciens et des modernes” noch nicht wirklich durchsetzen, also nahm er sich sein Werk ein zweites Mal vor. Marc Minkowski hat “Dardanus” mit den Musiciens du Louvre und den Solisten John Mark Ainsley, Véronique Gens, Mireille Delunsch und Magdalena Kozená neu eingespielt und sich für die musikalisch stärkere erste Fassung entschieden. Lediglich für den dramatischen Höhepunkt, die großartige Kerkerszene, wählte er die zweite Fassung: Dardanus ist jetzt nicht der strahlende Held, die Szenerie hat nichts Phantastisches – stattdessen erlebt man einen Menschen in tiefer Verzweiflung, dessen Monolog sich über einem spannungsvollen Streichersatz als höchst expressiver Sprechgesang entfaltet.
 
Marc Minkowski ist mit Rameaus Musik mehr als vertraut, denn mit der Einspielung von “Hippolyte et Aricie” feierte er 1995 seinen internationalen Durchbruch: “… das Orchester, insbesondere die Holzbläser, geben einen wunderbaren Eindruck von dieser bewegten Musik. [ …] eine längst überfällige Gesamtaufnahme mit einer umwerfenden Bernarda Fink in der Hauptrolle”, schrieb damals Classic CD. Und als er 1997 Händels “Ariodante” mit Anne Sofie von Otter in der Titelrolle aufnahm, urteilte “Fono Forum”: “Die Wiedergabe verdient wirklich alle nur denkbaren Lobpreisungen. Drei Stunden lang, die in keinem Moment langweilen, kann man herrliche Musik und ebenso herrlichen Gesang erleben und genießen.” Was lag näher, als mit Minkowski zusammenzuarbeiten, als Filmregisseur William Klein, der mit seiner viel zitierten Dokumentation über Muhammad Ali international bekannt wurde, nach der Musik für seinen halbdokumentarischen Episodenfilm “Le Messie” suchte. Der Film – eine Reflexion über unsere Welt an der Wende zu einem neuen Jahrtausend – verwendet nun ausschließlich Händels Musik aus dem “Messias” und trifft damit eine eigene Aussage: das Versprechen auf Hoffnung und die tiefe Überzeugung vom Guten im Menschen.
 
Würde man ein Ranking der beliebtesten geistlichen Werke Händels aufstellen, sein Oratorium “Israel in Egypt” käme gleich hinter dem “Messias”. Dabei ging Händel im Entstehungsjahr dieses Oratoriums nur noch das Komponieren glatt von der Hand: Seine ernsten Opern konnten sich beim Londoner Publikum gegen die Konkurrenz der plump-ironischen “Beggars Opera” (der barocken Vorlage für die “Dreigroschenoper”) nicht mehr halten. Händels geschäftlichem Zusammenbruch folgte der gesundheitliche. Trotzdem begann er im August 1738 mit der Komposition von “Saul” und nahm sich wenige Tage später den großen alttestamentarischen Stoff “Israel in Ägypten” vor. Um ein Haar wäre auch dieses Unterfangen ein Misserfolg geworden. Nach nur wenigen Vorstellungen sollte das Werk im April 1739 wieder abgesetzt werden, doch ein anonymer Fan-Brief in der Londoner “Daily Post” setzte sich für weitere Aufführungen ein – und besprach in Briefform tags darauf das Oratorium: “Hier führt die Musik eine Art eigene Existenz ohne den Text; wer gleichzeitig lauscht und (das Textbuch) liest, fügt Körper und Seele zusammen.” Dieser Händel-Hit Nr. 2 liegt jetzt in einer neuen Aufnahme vor: Anders als viele bisherige Einspielungen beginnt sie – wie in Händels Erstaufführung – mit der Trauerode für Königin Caroline “The Ways of Zion do mourn”, sodass das gesamte Oratorium originalgetreu in drei Teilen aufgeführt wird. Unter der Leitung von Stephen Cleobury singen der Kings College Choir, Altus Michael Chance und der junge Star-Tenor Ian Bostridge.
 
Vom englischen Spitzentenor zu den jungen Französinnen: Unter den Sopranistinnen auf der anderen Seite des Kanals ist Véronique Gens eine der gefragtesten – nicht nur für Alte Musik. Aber den Anfang machte sie doch bei William Christie und seinem Les Arts Florissants und lernte dabei auch Marc Minkowski und Christophe Rousset kennen. Als dann noch die Sopranistin Sandrine Piau dazustieß, konnte man einen lang gehegten Plan umsetzen: eine Einspielung der Lamenti von François Couperin, die er “Leçon de ténèbres” nannte und tatsächlich an nächtlicher Melancholie nicht sparen – allerdings in sehr klangvoller, ja hingebungsvoller Weise zu klagen verstehen. Christophe Rousset, der zuletzt mit seiner Einspielung von Pergolesis “Stabat mater” Furore machte, sitzt an der Orgel, die Violone spielt Emmanuel Balsa.
 
Das Spiel mit Originalinstrumenten der Renaissance hat das Ensemble Piffaro aus Philadelphia zur Perfektion getrieben: Bei ihren Konzerten mit “Musik für ein flämisches Fest” kann es schon vorkommen, dass das Publikum aufsteht – und zu tanzen beginnt. Sie können also die Möbel schon mal zur Seite rücken, denn jetzt liegt diese Musik als Einspielung vor: eine selten vielseitige Sammlung flämischer Musik aus dem 15. und 16. Jahrhundert, die ins Ohr geht – und in die Beine.

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