Ein Vergleich von Künstlern, Musikern zumal und insbesondere Pianisten ist nicht ganz unproblematisch, ihrer individuellen Entwicklungen wegen, mit denen meist spezielle Eigenheiten und eine sehr persönliche Art des Klavierspielens einhergehen, auf der Konzertbühne und im Studio. Für die große portugiesische Pianistin Maria João Pires war das Konzertieren, das Spielen auf den großen Bühnen nie die wirkliche Erfüllung. Es gebe, sagte sie in einem, Interview, zu viele Ablenkungen. “Das Aufnehmen ist wirklich das einzige, was ich gerne für die Öffentlichkeit mache.” Und mit dieser Haltung war sie ihrem kanadischen Kollegen Glenn Gould, der den Begriff “Glück” mit “Aufnehmen im Studio” beschrieb, durchaus vergleichbar. Wenn sie also in der Öffentlichkeit spielte, dann nur zu ihren eigenen Bedingungen, weshalb sie oft als schwer fassbare, rätselhafte Künstlerin beschrieben wurde.
Rückzug von der Konzertbühne
Maria João Pires wurde 1944 in Lissabon geboren und gab bereits mit fünf Jahren ihr erstes Konzert. Dass sie 1970 den Internationalen Beethovenwettbewerb gewann, damals studierte sie noch in Lissabon, verhalf ihr schnell zu internationaler Aufmerksamkeit und zahlreichen Konzerteinladungen. Eine Karriere als weltweit agierende Pianistin nahm ihren Lauf, so rasant, dass sie sich bereits Mitte der 1970er Jahre schon einmal von der Konzertbühne zurückzog, auf die sie erst 1982 zurückkehrte. Vor drei Jahren dann kündigte sie ihren endgültigen Rücktritt von der Konzertbühne an.
Mit Mozart fing alles an
Ihren Ruf als außergewöhnliche Pianistin konnte Maria João Pires nicht nur bei ihren Konzerten, sondern auch in der intensiven und langjährigen Zusammenarbeit mit der Deutschen Grammophon untermauern. Der 1989 unterschriebene Vertrag bildete die Grundlage für eine Fülle wegweisender Aufnahmen: Bach, Mozart und Beethoven, Schubert, Brahms und Schumann, Chopin und Grieg – enthalten in der wunderbar ausgestatteten Box “Complete Recordings on Deutsche Grammophon” auf 38 CDs.
Ihre ersten Aufnahmen für DG entstanden im Februar 1989: drei Mozart-Sonaten, darunter die “sonata facile” in C-Dur K 545, die für Hörer einfach scheint, für den Spieler aber extrem anspruchsvoll ist. Welch großen Stellenwert Mozart in Maria João Pires' Repertoire einnimmt zeigt sich darin, dass die Box dessen gesamten Klaviersonatenzyklus enthält – Pires schloss die Aufnahmen dafür innerhalb eines Jahres ab.
Ebenfalls ganz an den Anfang ihrer Aufnahmetätigkeit für Deutsche Grammophon stellte Pires Franz Schuberts a-Moll-Sonate (D784) sowie die sechs “Moments musicaux” (D780), die Schubert in seinem letzten Lebensjahr veröffentlichte. Nach den umfangreichen solistischen Aufnahmen, zu denen neben den Schubertschen Impromptus D 899 und D 935 auch Chopins 24 Preludes op.28 oder seine 21 Nocturnes gehören, widmete sich Pires dem kammermusikalischen Repertoire. Einen kongenialen Partner fand sie in dem französischen Geiger Augustin Dumay, der seinerzeit bei Nathan Milstein und Arthur Grumiaux studiert hatte und der sich, anders als Pires, größtmögliche Freiheit beim Spiel herausnahm. Dass diese Art zu musizieren nicht widersprüchlich, sondern in hohem Maße ergänzend wirken kann, zeigen sowohl die zuerst entstandenen Aufnahmen der vier Mozart-Sonaten für Klavier und Violine als auch die 1991 aufgenommen drei Brahms-Violinsonaten sowie die darauf folgenden von Edward Grieg, Claude Debussy und Cesar Franck.
Künstlerische und emotionale Höhepunkte
Der Reichtum dieser Box zeigt sich in der Präsentation der Vielfalt der Genre, die Maria João Pires bedient: Trios, etwa von Brahms und Mozart, Quintette von Schumann, ganz zu schweigen von den Produktionen mit Orchester, etwa den beiden Chopin-Klavierkonzerten. Zu einem künstlerischen wie emotionalen Höhepunkt freilich gerieten die Produktionen mit Claudio Abbado und dem Chamber Orchestra Of Europe von 2011: Mozarts B-Dur- Klavierkonzert (K 595), sein letztes, und jenes in d-Moll (K 466), eines seiner beliebtesten.
Eine Beigabe ganz besonderer Art sind die auf der letzten CD der Box platzierten Stücke ihres Landsmannes António Victorino D' Almeida. Auch das konnte und mochte Maria João Pires: den klassischen Zirkel verlassen und sich der Musik ihrer Heimat hingeben, dem Fado. An ihrer Seite Carlos Do Carmo, einer der bedeutendsten Fadistas Portugals.
Vielfältige Begegnungen mit einer großartigen Künstlerin – die Box von Maria João Pires macht es möglich, auch für jene, die nicht die Möglichkeit hatten, sie im Konzert zu erleben.