Recomposed, die neue Serie der “Deutschen Grammophon”, gibt Pop-Produzenten die Chance, Klassik zu re-mixen. Diese Neuinterpretation und Wiederbelebung eines alten Werkes mit modernsten Mitteln, die längst im Pop funktioniert und seit einigen Jahren auch im Jazz, findet so endlich ihren Weg in den umfangreichsten Katalog westlicher Musik. Matthias Arfmann eröffnet jetzt, noch bevor der finnische Electronica-Elegant Jimi Tenor Anfang nächsten Jahres seinen Teil zu “Recomposed” beiträgt, die neue Serie.
Klassikakzente sprach mit Arfmann, dem Chef des “Turtle Bay Country Club”, der etliche Hits für Jan Delay oder dessen “Absolute Beginner” produzierte, über Respekt, Dreistigkeit, Popsongs und Basslines.
Klassikakzente: Wie kommt der Hip-Hop Produzent und Dub-Experte zur Klassik?
Arfmann: Über Gustav Holst und seine “Planeten”. Wenn man sich, so wie ich und viele andere moderne Musikproduzenten, durch alle mögliche Musik hört und arbeitet, um nicht nur indirekte Inspiration, sondern auch konkrete Samples zu finden, kommt man natürlich an der Klassik nicht vorbei. In einer Ouvertüre steckt Material für etliche Popsongs. Diese enormen Melodien und Harmonien, dazu dieser Orchestersound- das ist unwiderstehlich. Von Holsts “Mars” habe ich dann zum ersten Mal weitere Strecken benutzt, um einen ganz neuen Popsong zu machen. Das hat so gut funktioniert, dass ich unbedingt weitermachen wollte.
Klassikakzente: Das klingt so einfach, wie es anscheinend nicht wahr. Immerhin haben sie mit dem Holst schon vor einigen Jahren angefangen, oder?
Arfmann: Das stimmt. Aber es waren weniger der Respekt, als andere Projekte, die mich gehindert haben. Obwohl ich diese Achtung vor der Klassik, vor der Musik an sich und ihren Protagonisten, natürlich habe- und wie! Ich hatte selbst bis zum zwölften Lebensjahr klassischen Klavierunterricht, viele in meiner Familie waren im Chor, eine Tante sogar Opernsängerin. Aber für dieses Projekt musste ich das ein wenig ausblenden. Ich wollte ja schon in Ansätzen “eigene Songs” entwickeln. Dazu braucht man auch eine gewisse Dreistigkeit.
Klassikakzente: Wie muss man sich ihre Arbeitsweise vorstellen?
Arfmann: Meist habe ich montags mit Peter Imig besprochen, was ich als nächstes machen möchte. Er ist Musikwissenschaftler und hat mich nicht nur beraten hat, sondern auch die Aufnahmen aus dem Archiv der “Deutschen Grammophon” besorgt. Am Mittwoch hatte ich dann die Aufnahmen, die ich anschließend zwei Tage lang intensiv durchgehört habe, mir dabei überlegt und auch aufgeschrieben habe, was ich für meinen Popsong übernehmen will und was nicht. Oft sind es ja vierzigminütige Werke, aus denen ich schließlich nur drei bis vier verschiedene Stellen “benutze”. Ich habe dann immer Freitagmittags im Studio angefangen, gemeinsam mit meinen beiden Co-Produzenten und Programmierern Milan Meyer und Sebastian Maier. Und Sonntagabends war das Lied fertig. Mit Mix und allem. Und ich habe auch kein einziges Lied wiederholt.
Klassikakzente: Hatten sie dabei eine bestimmte Methode?
Arfmann: Alles ging immer auf die Bassline zu. Ich stand da, eine Gitarre oder den Bass um die Schultern, dann noch ein Keyboard vor mir, und rief den Computerexperten Ideen zu, probierte hier etwas, hatte hier oder dort eine neue Idee. Irgendwann im Laufe des Samstags, kurz nach dem Mittagessen, kam mir meistens die Bassline. Egal wie komplex das Lied ist, das Element, das alles zusammenführt und neu macht ist nur die Bassline. Nichts anderes. Man sagt, es gibt im Reggae vielleicht sowieso nur fünfzig Basslines. Aber wenn man Vorlagen der Klassik hat, gibt es auf einmal mehr. Weil dieser Nährboden so fruchtbar ist. Bei unserem Rimsky-Korsakov gibt es sogar drei Basslines in einem Lied. Wenn die Basslinie da war, gab es eine größere Leichtigkeit das Ganze weiter zu treiben. Sonntags um 17 Uhr hatte ich es so weit getrieben, dass es nicht weiterging. Dadurch ist auch eine gewisse Roughness drin geblieben.
Klassikakzente: Dass es in Richtung Reggae oder Dub gehen sollte, war von vornherein klar?
Arfmann: Auf jeden Fall. Bei allem, was ich mache, spielt das immer eine große Rolle. Es hätten sich vielleicht auch andere rhythmische Sachen aus dem, was man heute so “Black Music” nennt, angeboten. Aber für mich stand fest, dass meine spezielle Form des Dub hier die passende Basis ist.
Klassikakzente: Bei zwei ihrer “Recomposed”-Stücke gibt es ja auch Gesang, bei der Version von Mendelssohns Hebriden Ouvertüre und bei Tschaikowskis “Aus der neuen Welt”.
Arfmann: Die Sängerin Onejiru, mit der ich immer wieder und momentan auch an einem Soloalbum zusammenarbeite, hat auch den Text zur “Neuen Welt” geschrieben – teils englisch, teils Kikuyu. Es geht dabei passender Weise, wie man aus einigen Aussagen Tschaikowskis weiß, um unerfüllte Hoffnungen an diese neue Welt. Der neue Song spannt den Bogen von Sklaverei zu Globalisierung. Das ist sicher unsere am besten gelungene “Recomposition”: Ein völlig neuer Popsong, der nicht nur musikalische, sondern auch thematische Elemente des Originals aufgreift.
Klassikakzente: Wie sind die bisherigen Reaktionen?
Arfmann: Sehr gut. Sogar den Berliner Philharmonikern, von denen ja alle Originalaufnahmen stammen- wenn auch aus den Siebziger Jahren unter Karajan- gefallen die neuen Sachen. Und ein Redakteur vom deutschen Reggae-Magazin “Riddim” hat mich auch schon total begeistert angerufen.
Klassikakzente: Hatten Sie auch die Idee, einem Teil der CD-Auflage die Originalaufnahmen beizulegen?
Arfmann: Leider nicht. Aber ich finde das großartig. Es hat auch etwas pädagogisches- und in der direkten Gegenüberstellung können die Originale vielleicht auch noch in anderen Popfreunden diese Begeisterung wecken, die ich immer mehr empfinde.