Maurizio Pollini kehrt immer wieder zu Beethoven zurück. Das Klavierwerk des großen Komponisten birgt so viele Nuancen, so viele Klangfarben, Stimmungen und Ideen, dass der Mailänder Pianist mit Beethoven einfach nicht fertig werden kann und wohl auch nicht fertig werden will. Ein Leben reicht für Beethoven nicht aus. Die Fülle seiner Musik will immer wieder neu erforscht werden, und wie fruchtbar dies sein kann, hat kaum jemand so eindrucksvoll unter Beweis gestellt wie Maurizio Pollini.
Seine Gesamteinspielung aller fünf Klavierkonzerte des Wiener Klassikers mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Claudio Abbado besitzt “absolute Gültigkeit” (Fono Forum). Sein 2014 erschienener Zyklus mit sämtlichen Klaviersonaten von Beethoven gilt keine zehn Jahre nach seinem Erscheinen bereits als Meilenstein, und sein 2020 erschienenes Album mit den letzten drei Klaviersonaten von Beethoven löste bei Kritik und Publikum Wogen der Begeisterung aus.
Frühe Aufnahmen
Pollini hatte die fünf letzten Klaviersonaten von Beethoven zu Beginn der 1970er Jahre erstmals eingespielt. Für die gefeierte Aufnahme erhielt er seinerzeit den renommierten Gramophone Award. Dass der Pianist, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, sich just diesen fünf Sonaten erneut widmet, zeigt, wie frei er ist und wie fest er daran glaubt, dass ungeachtet der Gültigkeit seiner früheren Aufnahme in Beethovens pianistischem Spätwerk immer wieder Neues zu entdecken ist.
In seinem Album von 2020 hatte er dies mit einer schillernden Interpretation der letzten drei Klaviersonaten von Beethoven bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Jetzt vervollständigt er das Projekt mit seiner Darbietung der Klaviersonaten Nr. 28 in A-Dur und Nr. 29 in B-Dur. Das heißt, dass ab sofort alle fünf späten Klaviersonaten von Beethoven, für deren Interpretation Pollini zu Beginn der 1970er ausgezeichnet wurde, in einer neuen Einspielung des italienischen Starpianisten vorliegen.
Beethoven atmen
Pollini ist im Laufe seines Lebens immer tiefer in Beethovens Klangkosmos eingedrungen. Dabei ist er ihm so nahegerückt, dass er sich heute rückhaltlos in Beethovens Musik hineinfallen lassen kann. Die differenzierte Akustik im Münchener Herkulessaal, wo der Pianist bereits die drei letzten Sonaten des Wiener Klassikers neu aufgenommen hatte, kommt seinem detailversessenen Spiel auch auf seinem neuen Album entgegen. In der Klaviersonate Nr. 28 in A-Dur (op. 101) beeindrucken die klaren Konturen in Beethovens weitverzweigten Harmonien. Eine virtuose Wucht ist die Klaviersonate Nr. 29 in B-Dur (op. 106), besser bekannt unter dem Namen “Hammerklaviersonate”, deren Kopfsatz Pollini in seiner neuen Aufnahme unfassbar kraftvoll, mitreißend, farbenreich und dramatisch zur Geltung bringt. Im dritten und vierten Satz ergreift die lyrische Zartheit, das Feingefühl, mit dem sich Pollini jeder Nuance Beethovens widmet.
Pollini zielt auf die innovative Kraft und Modernität Beethovens. Sie möchte er demonstrieren. “Manchmal wird behauptet, dass Beethoven in seinem Spätwerk zum Geist der alten Musik zurückkehren wollte, aber das ist völlig falsch”, so der Pianist. “Er verwendet alte Techniken, um seine Musik zu erneuern.”