Da steht Max Raabe mit dem Blick aufs Meer, ein wenig wie eine Gestalt von Caspar David Friedrich. Man möchte ihm folgen in den Gedanken, die er in die bläulich rätselhafte Ferne schickt, Gedanken der Sehnsucht, der Melancholie, vielleicht auch nur der Kontemplation. Er ist ein Meister der Selbstinszenierung und im Fall von „Übers Meer“ beschleicht den Hörer das Gefühl, dass ihn selbst die Musik noch etwas mehr angeht als bei seinen bisherigen Aufnahmen mit dem Palast Orchester. Denn diesmal hat er sich nur mit seinem Pianisten Christoph Israel vor die Mikrofone begeben und ein Chanson-Recital aufgenommen, das in seiner Originalität seinesgleichen sucht.
Max Raabes Traum war die Oper. Sieben Jahre lang studierte er an der Berliner UdK, ließ sich als Bariton ausbilden und schloss damit eine Lebensphase ab, die zunächst im Kirchenchor seiner westfälischen Heimatstadt Lünen begonnen hatte, dann in einem Paderborner Internat fortgesetzt wurde und ihn schließlich nach Berlin, der Stadt des künstlerischen Aufbruchs, geführt hatte. Allerdings sollte es ganz anders kommen als ursprünglich geplant. Denn anno 1986 bot sich die Gelegenheit, mit Freunden der Musikhochschule ein Ensemble zu gründen, das sich Schlagern und Chansons der zwar nicht politisch, aber künstlerisch goldenen zwanziger Jahre widmen wollte. Man hatte einen Auftritt beim Berliner Theaterball im folgenden Jahr in Aussicht und die gemeinsame Passion der Beteiligten führte dazu, dass bald ein Repertoire erarbeitet war, das vergleichsweise authentisch Melodien und Lieder dieser spannenden Ära abbildete.
Als dann tatsächlich das Palast Orchester im Rahmenprogramm des Szene-Events spielte, blieben die Menschen einfach im Foyer vor der kleinen Bühne stehen, anstatt in den Festsaal weiter zu gehen. Zweimal nacheinander mussten Max Raabe und die seinen die Stücke von anno dazumal zum Besten geben und es zeigte sich, dass hier nicht nur die Tür zu einer kaum beackerten musikalischen Nische offen stand, sondern das Publikum auch davon gefangen wurde, wie der Sänger mit der markanten Stimme die oft zu Unrecht vergessenen Schlager wiedergab. Max Raabe und das Ensemble avancierten zu einem lokalen Stars und da sich das Konzept des Orchesters weiter ausbauen ließ, ging es schrittweise, aber stetig voran. Bald pfiffen Insider Lieder wie „Kein Schwein ruft mich an“, das im Soundtrack von „Der bewegte Mann“ Erfolge feierte, und spielten den Song auf zahllose Anrufbeantworter der Republik.
Das Palast Orchester perfektionierte seine Programme und begann, auch außerhalb Deutschlands zu touren. Zunächst als Kuriosum empfunden, entpuppten sich Raabe & Co als versierte Entertainment-Profis, die ihr Publikum von Tokio bis zur Carnegie Hall im Griff hatten. Und der Sänger des Orchesters in seinem perfekt sitzenden Frack wurde zu einem der meist gehörten und umjubelten Vokalisten seines Fachs. Das war zwar keine Oper, wie einstmals gedacht, erreichte aber umso mehr Musikfreunde, die sich an der Kunst der cleveren Unterhaltung erfreuten. Und manchmal leistete Max Raabe sich auch Duo-Programme gemeinsam mit dem Pianisten Christoph Israel, die die Idee des Projektes auf einen kammermusikalischen Nenner brachten und noch mehr als das Orchester den Fokus auf den Charme der Melodien und die häufig raffinierten, kunstvollen Verse legten. Aufgenommen allerdings wurden diese Recitale nicht.
Bislang nicht, denn „Übers Meer“ schließt genau diese Lücke in der bereits umfangreichen Diskografie von Max Raabe. Es sind Lieder von Fritz Rotter und Walter Jurmann, Hans May, Walter Reisch und vielen anderen, die während der finsteren Ära nationalsozialistischer Kulturignoranz und Menschenverachtung Deutschland verlassen haben und damit eine Unterhaltungstradition ins Exil exportierten, die bereits in den Zwanziger famose Früchte getragen hatte. Max Raabe nimmt diese Lieder auf, entledigt sie des Schmalzes mancher Film- und Revuearrangements und macht daraus ein Programm erstaunlich privater, zuweilen verschmitzter, manchmal melancholischer Weisen, das den Zuhörer nicht mehr los lässt. Gemischt im grandiosen Sound der Osloer Rainbow-Studios kommen damit musikalische und auch musikkulturelle Juwelen zu ihrem Recht, die der Advokat der Eleganz unnachahmlich eigen und souverän präsentiert.
Max Raabe ist in folgenden TV-Sendungen zu Gast:
14. Januar 2010 “Stilbruch”
RBB
22:00 Uhr
14. Januar 2010“DAS!”
NDR
18:45 Uhr
15. Januar 2010“3 nach 9”
22:00 Uhr
05. April 2010“Gero von Boehm begegnet.... Max Raabe”
3SAT
06. April 2010“Durch die Nacht mit… Max Raabe und Robby Naish”
ARTE
23:45 Uhr
Mehr Informationen zu Max Raabe finden Sie auf seiner neuen Website unter
www.max-raabe.de