Dass
Max Raabe und
Annette Humpe ja eines Tages zusammenfinden mussten, scheint heute allen immer schon klar gewesen zu sein. Einmal abgesehen von der Widersprüchlichkeit der kursierenden Versionen vom Gründungsmythos: Raabe kontaktiert Humpe mit dem Vorschlag einer musikalischen Zusammenarbeit, Humpe ruft eines Abends überraschend bei Raabe an, weil sie eine Textzeile ersonnen habe, die zu ihm passe … herrscht hinsichtlich der Berufung auf bemerkenswerte Parallelen in ihren Biografien Einhelligkeit: Beide sind in Westfalen geboren und aufgewachsen, entflohen der Enge des Elternhauses in Richtung West-Berlin, gelten seither als Prototypen der bohèmischen Lebensweise, komponieren und texten eigene Lieder und werden als Lichtgestalten der deutschsprachigen Unterhaltungsmusik gefeiert.
Die feinen UnterschiedeDoch wer lediglich die – zugegeben – auffällige Anzahl von Gemeinsamkeiten zwischen Raabe und Humpe betont, übersieht die feinen Unterschiede. Und gerade diesen verdankt das von Publikum und Presse in seltener Eintracht gelobte Gemeinschaftswerk
“Küssen kann man nicht alleine” seine erfrischende Singularität in der deutschen Poplandschaft: Der
Entertainer Max Raabe hat sich ganz der Bühne verschrieben, während die
Produzentin Annette Humpe seit langem weitaus lieber im Hintergrund agiert, er zelebriert als Kopf des
Palast Orchesters seit 25 Jahren einen schrulligen Hang zum antiquarischen Klang der Goldenen Zwanziger, in wechselnden Konstellationen gibt sie dem deutschen Musikmarkt immer wieder neue Impulse mit nachhaltiger Wirkung (sie sang und spielte Keyboards in der NDW-Band Ideal, produzierte Rio Reisers Album “Rio I.” mit Juwelen deutschsprachiger Popmusik wie “Junimond” und “Für immer und dich” und hob zuletzt die beispiellos erfolgreiche Band Ich + Ich aus der Taufe), Raabe setzt auf den verblüffenden Kontrast zwischen dekadent-frivolen Schlagertexten aus der späten Weimarer Republik und seiner demonstrativ ungerührten Vortragsweise, Musik und Texte Annette Humpes hingegen leben von der unmittelbaren und ehrlichen Äußerung zwischenmenschlicher Gefühle.
“Mit Dir möchte ich immer Silvester feiern” – Das Lied zum Jahreswechsel“Küssen kann man nicht alleine“ entstand in einem Annäherungsprozess zweier Künstlerpersönlichkeiten und ihrer individuellen Arbeitsweisen. So musste Max Raabe etwa seine Vorliebe für eine gewisse Eckigkeit der sprachlichen Wendungen zugunsten einer direkteren und zeitgemäßeren Rede zügeln. Und er hat sich auf die Emotionalität des Humpeschen Stils eingelassen und zeigt sich in den Texten und auf dem Coverfoto der CD etwas weniger zugeknöpft und nahbarer als man es von ihm gewohnt ist. Das Album lebt zugleich aber auch von seinem ironischen und stets leicht melancholischen Unterton.
“Mit Dir möchte ich immer Silvester feiern” ist die jüngste
Single aus dem liebeswürdigen Chartstürmer-Album “Küssen kann man nicht alleine”. Und beim alljährlichen Taumel zum Jahreswechsel darf sich die Republik diesmal über einen
niveauvollen Gassenhauer freuen und über Textstellen von zeitlosem Understatement und einem feinen Gespür für die seelischen Vorgänge zum Jahresausklang wie diese: “Manches lief anders als gedacht, das kümmert mich nicht heute Nacht. Wir sind immer noch schön, was morgen ist, wird man sehen.”