Nach ihrem gefeierten Album mit
Benjamin Brittens “
Sinfonia da Requiem” widmet sich die litauische Stardirigentin
Mirga Gražinytė-Tyla auf ihrer neuesten Veröffentlichung einer hierzulande bislang kaum ins Blickfeld geratenen Komposition von
William Walton: der Oper “
Troilus and Cressida”. Das Bühnenwerk steckt voller Energie, Dramatik und überraschender Wendungen. Uraufgeführt im Jahre 1954 am Royal Opera House in Covent Garden, geriet die Oper jedoch bald in Vergessenheit und ist heute auf den Spielplänen der großen Häuser nicht mehr präsent. Der Verleger von William Walton muss geahnt haben, was in dem Werk steckt, denn nachdem der Komponist im Jahre 1983 verstorben war, regte sein Verleger den Musikschriftsteller und Arrangeur
Christopher Francis Palmer zu einer Orchestersuite mit den musikalischen Höhepunkten der Oper an.
Palmers Arrangement, das sich akribisch ans Original hält, entfaltet ein beeindruckend breites Stimmungsspektrum. Die extremen Emotionen, denen sich die beiden Hauptprotagonisten der Oper ausgesetzt sehen, gewinnen musikalisch Kontur.
Das von Christopher Hassall verfasste Libretto zu “Troilus and Cressida” ist von einer Versdichtung des mittelalterlichen Schriftstellers Geoffrey Chaucer inspiriert. Der Text handelt von einer tragischen Liebe während der Zeit des Trojanischen Krieges. Troilus, ein trojanischer Prinz, verliert seine große Liebe Cressida während eines Gefangenenaustauschs an die Griechen. Der Plan, sie zu zurückzuerobern, scheitert. Troilus wird ermordet, Cressida richtet sich selbst.
Dramatische Intensität
Mirga Gražinytė-Tyla, seit 2016 Chefdirigentin des City of Birmingham Symphony Orchestra (CBSO), wo sie in der Nachfolge von Andris Nelsons und Simon Rattle steht, zeigt sich von den überraschenden Harmonien und der dramatischen Intensität des Werkes begeistert. “Ich träume davon, die ganze Oper zu dirigieren”, so die litauische Stardirigentin, die mit dem CBSO der “schieren Schönheit” von Waltons Musik auf der Spur ist. Dass Palmers Sinfonische Suite das Zeug dazu hat, die dramatische und lyrische Essenz der Oper zum Ausdruck zu bringen, stellt Gražinytė-Tyla mit ihrem gerade erschienenen eAlbum überzeugend unter Beweis. Man spürt allenthalben die fesselnde Dramatik des Stoffes und die komplexen Empfindungen der Handelnden. Die heroische Substanz der Trojaner wird in den wagnerischen Akzenten des Kopfsatzes machtvoll in Szene gesetzt. Das darauf folgende Scherzo gleicht einem erwartungsvollen Flirren, das im dritten Satz, überschrieben mit “The Lovers”, die Färbung lyrischer Zartheit annimmt. Das Finale changiert zwischen langsamer, düster umwölkter Klangpoesie und heftig pulsierender Dramatik.
Mirga Gražinytė-Tyla lässt das CBSO, das zu Lebzeiten William Waltons eine enge Partnerschaft mit dem Komponisten pflegte und mit seinem Repertoire bis heute urvertraut ist, bis an die Grenzen gehen und die Extreme ausloten. Dadurch kommt die enorme Spannung des Werkes unvermindert zur Geltung.