Es ist ein doppeltes musikalisches Ereignis: Ab dem 3. Mai gibt es bei
Deutsche Grammophon nicht nur das herausragende Debutalbum der litauischen Dirigentin
Mirga Gražinytė-Tyla zu entdecken, sondern auch zwei ebenso unterschiedliche wie berührende Werke des Komponisten
Mieczysław Weinberg. Lange Zeit über war dessen Opus weitestgehend unbekannt; seit geraumer Zeit wird es nun intensiv erforscht und neu entdeckt. Gražinytė-Tyla trägt mit ihrem Album eindrucksvoll dazu bei und zeigt sich darauf als feinsinnige und reife Interpretin.
Der dunkle Klang des 21. Jahrhunderts – Weinbergs Kompositionen als musikalische Trauerarbeit
Der Komponist Mieczysław Weinberg verstarb im Jahr 1995, die Wiederentdeckung seines mannigfaltigen Werks steht aber wohl erst am Anfang. Dabei offenbart die Beschäftigung mit Weinbergs Werk seine intensive und berührende musikalische Auseinandersetzung mit dem Schrecken des 21. Jahrhunderts. Weinberg selbst verlor im Holocaust seine Familie und seine Heimat und hat sich Zeit seines Lebens immer wieder mit diesen traumatischen Erfahrungen beschäftigt.
Das Debutalbum der Interpretin Mirga Gražinytė-Tyla stellt zwei zentrale symphonische Werke Weinbergs ins Zentrum, zwischen deren Entstehung nicht weniger als ein Vierteljahrhundert liegt. Die Symphonien Nr. 2 und Nr. 21 belegen dabei ebenso die ungemeine Vielfalt wie die überragende künstlerische Qualität im Schaffen des Komponisten. Die 2. Symphonie ist ein vielschichtiges Frühwerk Weinbergs, in dem sich der Komponist spielerisch mit dem symphonischen Stil und der kompositorischen Tradition auseinandersetzte. Anders als in der 21. Symphonie gibt es darin keine außermusikalischen Bezüge, die Musik steht hier ganz für sich.
Die “Kaddish”-Symphony Nr. 21 wurde von Weinberg erst im Jahr 1991 vollendet und ist eines seiner letzten vollendeten Werke. Weinberg selbst bezeichnete diese Symphonie zusammen mit seiner Oper “Die Passagierin op. 97” als seine wichtigste Komposition und fraglos ist ihm damit ein Meisterwerk von epischer Weite gelungen. Von Gražinytė-Tyla als “Weinbergs Schwanengesang” bezeichnet, zeichnet das einsätzige Stück eine intensive Dramaturgie aus. Solistische Parts, symphonische Tutti-Abschnitte und kammermusikalische Passagen wechseln sich ab und lassen ein farbenreiches und packendes Klangbild entstehen, das Anklänge an Klezmer-Musik ebenso beinhaltet wie choral-artige Strukturen. Zudem webt Weinberg verschiedene Bezüge zu Werken anderer Komponisten ein, etwa zum fünften Lied aus Gustav Mahlers “Des Knaben Wunderhorn” oder Frédéric Chopins Ballade Nr. 1 op. 23 in g-Moll. Weinberg widmete seine Symphonie Nr. 21 den “Opfern des Warschauer Ghettos” und so ist dieses Werk gezeichnet von tiefer Traurigkeit.
Herausragende Interpreten, symbiotisch vereint
Das Debutalbum der litauischen Dirigentin ist auch insofern außergewöhnlich, als sich darauf verschiedene Künstler und Ensembles nahezu symbiotisch vereinen. So ist als Geiger bei den solistischen Passagen in Weinbergs 21. Symphonie
Gidon Kremer zu erleben, der mit seinem Einsatz entscheidend zur Wiederentdeckung Weinbergs beigetragen hat Als “Artist in Residence” des
City of Birmingham Symphony Orchestras für die Spielzeit 2018/19, hat Kremer zusammen mit Gražinytė-Tyla entschieden, die Kremerata Baltica für das vorliegende Weinberg-Projekt mit dem dortigen Orchester zusammen zu bringen. Das Album zeugt von der gelungen Verschmelzung beider Klangkörper, die in ihrer reifen Emotionalität und intensiven Klanglichkeit weit über die Musik hinausgeht. So sagt Gražinytė-Tyla: “Ich hatte das Gefühl, wir spielen nicht nur die Noten, sondern wir teilen gleichzeitig auch unsere Verbindung zum Baltischen und unserer gemeinsamen Geschichte”. Der Komponist Weinberg zählt für die Dirigentin zu “den bedeutendsten Komponisten des vergangenen Jahrhunderts” und was die Entdeckung seines mannigfaltigen Werks anbelangt, habe die Reise gerade erst begonnen. Mit ihrem Debutalbum hat die Dirigentin hierzu einen gewichtigen Beitrag geleistet.