Sie war 12 Jahre alt, als die Eltern mit ihr Japan verließen. Der Vater, ein Diplomat, war nach Wien berufen worden, und so zog es die Familie nach Österreich. Mitsuko tat sich schwer mit der neuen Umgebung. Alles war so fremd, die Sprache, die Menschen, und in einer solchen Situation muss sich eine junge Seele erst einmal zurechtfinden. Mitsuko fand sich zurecht. Sie besaß einen treuen Gefährten: das Klavier, und damit hatte sie eine eigene Sprache: die Musik.
Glück im Unglück: Wien
Mitsuko Uchida, die heute in London lebt und britische Staatsbürgerin ist, hat immer wieder betont, dass der Umzug nach Wien wahrscheinlich den Ausschlag für ihre Pianistenlaufbahn gab – eine Bilderbuchkarriere, die sie später in alle Welt führen und zu einer gefeierten Größe ihres Fachs werden ließ. Die Fremdheit Wiens verstärkte ihr Verlangen nach einer eigenen Sprache. Aber es war nicht nur die Einsamkeit, die sie ans Klavier lockte. Österreich und Wien hatten in ihrer Klaviertradition natürlich Außerordentliches zu bieten, und so kam es, wie es kommen müsste. Mitsuko verliebte sich in Mozart und Schubert. Mit 16 Jahren hörte sie Wilhelm Kempff, ihren späteren Lehrer, Schuberts Klaviersonate in G-Dur spielen. Spätestens da war es um sie geschehen. Die Musik hatte von ihr Besitz ergriffen.
Geborgene Schätze
Mit Mozart, sagte sie einmal, wird man nie fertig. Man kann ihn immer wieder neu entdecken. Er hält viele Klangnuancen bereit, die man beim ersten Hören gar nicht bemerkt, und dazu ist er so unterhaltsam, so quicklebendig und freudvoll. Nichts von alledem ist allerdings leicht zu haben. Beides, sowohl die anspruchsvollen Details als auch das unterhaltsame Moment, muss vom Interpreten erst einmal getroffen werden, und dazu ist nicht allein Begabung nötig, sondern auch eine ausgiebige Beschäftigung mit dem Komponisten. Deshalb tendiert Uchida dazu, sich über einen langen Zeitraum fast ausschließlich mit einem einzigen Komponisten zu befassen. Und das hat sie mit Mozart getan. Sie hat die klanglichen Schichten seines Werkes wie eine Archäologin freigelegt, und jetzt präsentiert sie dem Publikum immer wieder die Schätze ihrer jahrzehntelangen Grabungen.
Diskrete Verwandlungen
Auf ihrem neuen Album zeigt sie sich dabei als eine Meisterin der fließenden Übergänge. Mozart prescht in seinen beiden Klavierkonzerten Nr. 18 (B-Dur) und 19 (F-Dur) mächtig voran. Man spürt die Gefühle der Leichtigkeit und des lässigen Flirts mit dem Leben, die so typisch für den Komponisten waren, in fast jeder Melodie dieser schwungvollen Werke, und Mitsuko Uchida bringt mit dem Cleveland Orchestra das tänzerisch-freudvolle Moment des exaltierten Lebemanns prächtig zur Geltung.
Immer wieder mischen sich aber in diese freudigen Melodien auch nachdenkliche Töne ein. Das geschieht beiläufig, mit äußerster Diskretion, und dieses schleichende Moment der melancholischen Nachdenklichkeit flicht die grazile Pianistin mit äußerster Zartheit in ihr Spiel ein. Diese Zurückhaltung ist allerdings auch nötig, denn ebenso schnell, wie sie kommen, verschwinden solche dunklen Passagen bei Mozart oft auch wieder. Selbst das tiefsinnige Andante aus dem Klavierkonzert Nr. 18, das mit seinem gravitätischen Pathos in vielerlei Hinsicht auf Beethoven vorausdeutet, behält durch das fließende Klavierspiel Uchidas eine gewisse Leichtigkeit. Kaum jemand versteht sich so elegant auf die Kunst der diskreten Verwandlung wie Mitsuko Uchida, und von dieser berührenden Fähigkeit kann man sich auf ihrem aktuellen Album immer wieder aufs Neue überzeugen.