Das Leben des
Mstislav Rostropovich gleicht dem eines Romanhelden. Immer wieder berührt seine Lebenslinie neuralgische Punkte der Geschichte, immer wieder bezieht dieser
Protagonist des 20. Jahrhunderts – nicht ohne einen ausgeprägten Sinn für große Gesten – mutig Stellung für Meinungsfreiheit und Demokratie. Um die Welt gingen etwa die Bilder seines spontanen Solo-Auftritts am Checkpoint Charlie, einen Tag nach dem Fall der Berliner Mauer. Sein Engagement für den Dissidenten Alexander Solschenizyn trug ihm Auftrittsverbote und 1974 schließlich die Ausbürgerung aus der Sowjetunion ein. Erst 1990 rehabilitiert ihn Präsident Michail Gorbatschow, dem der Cellist im folgenden Jahr wiederum während des Putschversuchs reaktionärer Kräfte zur Hilfe eilt.
Jahrhundertmusiker und WeltbürgerDie
epischen Dimensionen dieses Lebens haben auch den russischen Filmemacher Alexander Sokurov fasziniert, der dem Cellisten und dessen Ehefrau Galina Vishnevskaya mit der Dokumentation “Elegy of Life. Rostropovich. Vishnevskaya” ein filmisches Denkmal gesetzt hat. Und wer ermessen will, welchen Ruhm der Jahrhundertmusiker und Weltbürger genoss, folgt staunend dem
Blick der Kamera auf die Gäste der Goldenen Hochzeitsfeier von
“Slava” und Galina im Mai 2005: Das Ehepaar teilt den Tisch mit Boris und Naina Jelzin, Bernadette Chirac, Königin Beatrix I. der Niederlande, Prinz Willem-Alexander und Prinzessin Máxima von Oranien-Nassau, Königin Sophia von Spanien, Großherzog Henri und Großherzogin María Teresa von Luxemburg, Prinzessin Irene von Griechenland, Prinz Hassan und Prinzessin Sarvath von Jordanien, Prinz Henrik von Dänemark und vielen anderen nationalen und internationalen Würdenträgern.
Das Konzept des großen KlangsSchon als Kind begeistert sich der 1927 in Baku geborene
Mstislav Rostropovich für die opulenten Sinfonien der Romantik und will
Dirigent werden. Doch Vater Leopold, ein angesehener
Cellist und ehemaliger Schüler von Pablo Casals, wünscht, dass der Junge in seine Fußstapfen treten soll. Rostropovich wird sich den Wunsch, Orchesterleiter zu werden, erst Jahrzehnte später erfüllen. Das Konzept eines voluminösen Klangs überträgt er einstweilen auf sein Cellospiel, mit dem er Weltruhm erlangen wird. “Wenn ich spiele, höre ich nicht den Klang des Cellos, sondern den eines Orchesters”, erklärt er einmal. Und auch seine
Zusammenarbeit mit den zahllosen Komponisten, die ihm Werke widmen, unter ihnen Prokofiev, Schostakowitsch, Britten, Penderecki und Lutosławski, prägt seine Klangvorstellung: “Ich habe eine große Sensibilität für die Orchestrierungen und Timbres der verschiedenen Komponisten ausgeprägt und lernte, meinen Klang ihren Werken entsprechend anzupassen.”
Gesamtausgabe der Decca-Aufnahmen“The Complete Decca Recordings” gibt einen umfassenden Einblick in die musikalische Zusammenarbeit des britischen Klassiklabels und des Jahrhundert-Cellisten, der es als Lebensaufgabe betrachtete, das Repertoire für das Cello als Solo-Instrument mithilfe von Kompositionsaufträgen beträchtlich zu vergrößern. Die
5-CD-Box enthält neben den Cello-Suiten Nr. 1 und 2 und der Cello-Sonate, die
Benjamin Britten dem Freund gewidmet hat, auch Werke, die schon vor Beginn der Ära Rostropovich zum Cello-Repertoire gehörten. Damit bietet sie Gelegenheit, sich in die Sichtweise Rostropovichs auf die Sonaten für Cello und Piano von
Ludwig van Beethoven, Franz Schubert, Claude Debussy und
Frank Bridge zu vertiefen.