Mstislaw Rostropowitsch ist mehr als nur der bedeutendste Cellist der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er ist als Mensch und Musiker, Pädagoge und Freigeist, als Mentor zahlreicher künstlerischer und humanitärer Projekte eine Institution und Inspiration für die gesamte Kulturszene. Sein Engagement vor allem für die kritisch denkenden Kory- phäen des Geistes und der Kunst, die seine russische Heimat hervorgebracht hat, seine Freundschaften mit Gleichgesinnten in aller Welt von Leonard Bernstein bis Benjamin Britten brachten ihm viele Jahre lang den Argwohn der sowjetischen Führungskader, aber auch die Sympathie freiheitlich einge- stellter Kollegen und des internationalen Publikums ein. Am 27. März feiert Mstislaw Rostropowitsch seinen 80. Geburtstag und kann mit Stolz auf ein Leben zurückblicken, das vielen Menschen Kraft gegeben hat – durch seine unvergleichliche Musik, seine Integrität und sein humanitäres Engagement. Und da der Meistercellist bereits seit den ersten großen Auslandstourneen in den Fünfzigern mit der Deutschen Grammophon und deren Tochterfirmen künstlerisch verbunden ist, können nun aus Anlass des Jubiläums wunderbare Aufnahmen wieder zugänglich gemacht werden, allen voran in der Geburtstagsbox “The Glory Of Rostropovitch”.
Unlängst hat der Meister einmal nachgerechnet und ist auf mehr als 240 Werke gekommen, die er während seiner Laufbahn uraufgeführt hat. Dazu zählen Kompositionen von Zeitgenossen wie Dutilleux, Kancheli, Lustoslawski, Penderecki und Schnittke, nicht eingerechnet die zahlreichen Inspirationen, die seine engen Freundschaften zu Kreativen wie Schostakowitsch, Projofjew, Britten oder Bernstein bei den Kollegen bewirkten. Rostropowitschs Einfluss auf die musikalische Klanggestalt des vergangenen Jahrhunderts ist immens, sie erscheint beinahe unglaublich und gründet doch in einem Bündel von Traditionslinien, die er als glückliche Fügung vollenden konnten. Da war zum einen die geschichtsträchtige Verbundenheit russischer Musiker zu dem Instrument Cello, die von Förderern wie Beethovens Mäzen Nikolai Galitzin über Musiker wie Karl Dawidow und Alexander Wierzbilowicz bis hin zu Pädagogen wie Rostropowitschs Vater Leopold reichte, der dem begabten Sohn ein vielseitiges Fundament der musikalischen Erfahrung mitgeben konnte. Hinzu kamen die persönlichen Anlagen des Jungen aus Baku, der nicht nur über das absolute Gehör verfügte, sondern außerdem derart schnell lernte, dass er als junger Mann beinahe ebenso gut Klavier wie Cello spielte. Schließlich war überhaupt mit Pablo Casals das lange Jahre kaum beachtete Instrument der Streicherfamilie erst aus dem Schattendaseins des Orchestergrabens herausgetreten und konnte sich nun mit einer brillanten Solostimme behaupten.
Rostropowitsch jedenfalls zählte bereits in jungen Jahren zu den faszinierenden Meistern seines Fachs. Nach dem Tod seines Vaters 1942 hatte er am Moskauer Konservatorium bei seinem Onkel Kozolupow (Cello), außerdem bei Nikolau Kuwschinnikow (Klavier) und Wissarion Schebalin (Komposition) seine Kenntnisse perfektioniert, und galt spätestens seit seinem Debüt mit den Moskauer Philharmonikern 1946 als strahlender neuer Stern am sowjetrussischen Künstlerhimmel. Allerdings sah er es nicht ein, durch Launen der Polit-Kader sich seine Freundschaften zu Zeitgenossen wie Schostakowitsch und Prokofjew zerstören zu lassen. So war sein Erfolg, der spätestens seit dem sensationellen New York-Debüt 1956 auch international nicht mehr zu bremsen war, für die kommunistischen Machthaber immer eine zweischneidige Angelegenheit. Darüber hinaus hatte der Cellist 1955 auch noch die Sopranistin Galina Wischnewskaja geheiratet, die mit ihm zusammen nicht nur umjubelte Kammermusikabende gab, sondern auch sein Engagement in humanitären Fragen unterstützte. So wurde Rostropowitsch 1974, nachdem er sich für den befreundeten Alexander Solschenitzyn eingesetzt hatte, aus der UdSSR ausgebürgert und lebte bis zu seiner triumphalen Rückkehr 1990 im Ausland.
Für die Musik aber hatte das auch sein Gutes. Denn von nun an stand der Cellist im Mittelpunkt der internationalen Klassikszene und konnte zahlreiche herausragende Aufnahmen als Solist und in späteren Jahren auch als Dirigent verwirklichen. “The Glory Of Rostropovitch” kann daher auf acht CD-Seiten ein Füllhorn der musikalischen Vielfalt ausschütten, das von den legendären Mitschnitten des Schumann-Konzerts von 1960, damals noch mit den Leningrader Philharmonikern unter Gennadi Rozhdestvensky, über Dvoraks Pendant, dass in einer Tournee-Pause anno 1968 in West-Berlin mit den Berliner Philharmonikern unter Maestro Karajan entstand, bis hin zu zeitgenössischen Meisterwerken wie Olivier Messiaens “Concert à Quatre” und kammermusikalischen Perlen wie dem inzwischen legendären Treffen mit dem Emerson String Quartet von 1990 reicht, das in die Einspielung von Schuberts “Streichquintett, C-Dur, D 956” mündete. Zu dem Koryphäen an seiner seiner Seite gesellen sich dabei unter anderem der Pianist Rudolf Serkin, die großartige Martha Argerich, das Collegium Musicum Zürich unter Paul Sacher, die Dirigenten Seiji Ozawa, Leonard Bernstein und Myung-Whun Chung. Nicht zuletzt kann man Rostropowitsch auch selbst am Pult der Berliner Philharmoniker und des National Symphony Orchestra mit Werken von Tschaikowski und Prokofjew erleben.
Darüber hinaus ist außerdem in der Reihe Original Masters ein Doppel-Album erschienen, das den jungen Cellisten mit überwiegend russischen Aufnahmen aus den Fünfzigern präsentiert. Dabei handelt es sich um eine frühere Version des Schumann-Konzertes, außerdem um das “Cello-Konzert Nr.1, a-moll. op.33” von Camille Saint-Saëns und eine Reihe kürzerer “Zugaben” aus der Feder romantischer und spätromantischer Komponisten (Chopin, Paganini, Strauss, Borodin u.a.), die er mit Moskauer Orchestern und Begleitern wie den Pianisten Walter Naum und Alexander Dedyukhin verwirklicht hatte. Und nicht zuletzt dokumentiert sich die Vielseitigkeit des Interpreten anhand der Variabilität der Werkdeutungen, die er zu präsentieren versteht. Im Unterschied zu den Perfektionisten des amerikanischen Emerson String Quartets, deren Aufnahmen des Schubert Quintetts in die 8-CD-Box integriert wurde, dokumentiert die Einspielung des Werkes mit dem Stuttgarter Melos Quartett, die Mitte der Siebziger entstand und in der Reihe Grand Prix neu aufgelegt wurde, einen noch emotionaleren Zugang zu diesem Meisterstück der kammermusikalischen Romantik. Ob früher oder späterer Rostropowitsch, bei jeder dieser Aufnahmen wird klar, dass hier ein Genie am Werke ist, einer, von dem die Londoner Times schrieb, er sei “the world’s greatest musician”.