Überhaupt hat Nathalie Stutzmann eine eindrucksvolle Karriere vorzuweisen. Geboren im nordfranzösischen Suresnes als Tochter der Sopranistin Christiane Stutzmann, war sie schon in Kindertagen von klassischer Musik umgeben. Den ersten Unterricht bekam sie von ihrer Mutter, bald folgten weitere Studien am Konservatorium von Nantes, der École Nationale in Paris und schließlich als Meisterschülerin bei Hans Hotter an der École D’Art Lyrique de l’Opéra de Paris. Derart für das Künstlerinnenleben vorbereitet, debütierte Nathalie Stutzmann 1985 in der Salle Pleyel mit einem Bach-Programm, das derart euphorisch aufgenommen wurde, dass sie daraufhin Angebote aus aller Welt bekam. Seitdem sang und arbeitete die Kontraaltistin mit vielen berühmten Ensembles ihrer Zunft vom Concertgebouw Orchestra bis zur Staatskapelle Dresden, war auf der Opernbühne in zahlreichen Rollen von Händel, Gluck, aber auch Wagner zu erleben und machte sich darüber hinaus einen Namen als Liedsängerin mit Schwerpunkt auf dem romantischen und frühmodernen Repertoire.
Damit nicht genug: Je mehr Nathalie Stutzmann mit famosen Ensembles arbeitete, desto klarer wuchs in ihr der Wunsch heran, eines Tages einmal ein eigenes Kammerorchester leiten zu können. Sie studierte Dirigieren bei Jorma Panula und Seiji Ozawa, der sie 2008 einlud, mehrere Konzerte in Japan mit dem Mito Chamber Orchestra zu leiten. Nach diesem offiziellen Startschuss war es nur noch eine Frage der Zeit, bis Nathalie Stutzmann sich tatsächlich ein eigenes Orchester würde zusammenstellen können. Im Jahr 2009, nach einem Vierteljahrhunderte Karriere als Sängerin an der Seite von Maestros wie Herbert von Karajan, Sir Simon Rattle, Sir John Eliot Gardiner oder auch Marc Minkowski, war es schließlich soweit. Nathalie Stutzmann rief Orfeo 55 ins Leben, ein junges Ensemble im Geiste der historischen Aufführungspraxis, das sich im Schwerpunkt dem Repertoire des Barocks widmet, einem der Spezialgebiete der Gründerin.
Die erste Aufnahme, die aus dieser neuen Zusammenarbeit erwuchs, widmet sich daher auch konsequenterweise einem der Genies des Barocks. „Vivaldi – Prima Donna“ greift zwei Dutzend Stücke aus dem noch immer zu wenig bekannten Vokalwerk von Antonio Vivaldi heraus, um sie zum Teil als Weltersteinspielung der Öffentlichkeit zu präsentieren. Dabei erweist sich die Personalunion von Solistin und Orchesterleiterin als faszinierend stimmig. Denn näher am Kern der Interpretation kann man kaum sein als Nathalie Stutzmann und Orfeo 55 mit der gemeinsamen Eroberung des Arienreigens von „Juditha Triumphans“ bis „Arsilda Regina di Ponto“. Vom dynamischen Feingefühl bis hin zur präzisen, historisch eruierten Färbung der Lieder leistet das Team mit dieser im Arsenal von Metz entstandenen Aufnahme inspirierte Präzisionsarbeit.
Diese Musik hat das Zeug, die Klassikwelt in diesem Sommer nachhaltig zu beeindrucken und Nathalie Stutzmann selbst wird man im kommenden Herbst mit einigen Konzerten auch in Deutschland erleben können – allerdings vorerst nicht mit ihrem Orchester. Da sie aber beispielsweise am 15., 17. und 18. September 2011 mit keinem Geringeren als Sir Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern mit einem Mahler-Programm in Berlin zu hören sein wird, muss man sich nicht grämen. Denn auch in diesem furiosen Rahmen wird Nathalie Stutzmann, eine der besten Kontraaltistinnen der Gegenwart, zu glänzen wissen.