Das Neujahrskonzert ist eines der Zuckerl der Tradition. Wo sonst im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins die ernste Muse kompetent gepflegt wird, darf man sich am Morgen nach den Feuerwerken der Unterhaltungskunst der Wiener Kaiserzeit hingeben. Für den Auftakt dieses Jahres haben sich die Philharmoniker einen Dirigenten ans Pult geladen, mit dem sie bereits zahlreiche Konzertereignisse verbinden: Nikolaus Harnoncourt.
Das Besondere an den Neujahrkonzerten ist die Mixtur aus Althergebrachtem und Neuentdecktem, aus Wiedererkennung und Individualität. Denn auch wenn die Strauß-Dynastie ein gewaltiges Oeuvre von mitreißenden Melodien zu bieten hat, so ist doch gerade die Gewichtung der Werke und deren Kontrast mit seltenen Kompositionen das Sahnehäubchen der Melange. Für dieses Jahr haben sich die Beteiligten daher ein paar Überraschungen einfallen lassen: “Das Neujahrkonzert 2003 zeichnete sich nicht nur durch vier bis dato in diesem Rahmen noch nie gespielte Werke von Johann Strauß Vater, Johann Strauß Sohn und Josef Strauß aus”, erläuterte der Vorstand der Wiener Philharmoniker Dr. Clemens Hellsberg die Wahl, “sondern brachte zwei (bzw. drei) neue Komponistennamen: Johannes Brahms, der enge Freund und aufrichtige Bewunderer des ‘Walzerkönigs’, stand ebenso erstmals auf dem Programm des Neujahrskonzerts wie der Komponist der ‘klassischen’ Walzers schlechthin y´ Carl Maria von Webers ‘Aufforderung zum Tanz’ in der Instrumentierung von Hector Berlioz”.
Für den Star-Dirigenten Nikolaus Harnoncourt, der bereits bei der Rekordausgabe des Neujahrskonzertes von 2001 die Wiener Philharmoniker leitete, ist die Beschäftigung mit den Strauß-Ära eine Mischung aus persönlicher Nostalgie und Spaß an der Leichtigkeit orchestraler Klänge: “Mein Vater spielte wohl als einer der ersten in Österreich Musik von Gershwin, denn in den 1930er Jahren schickte ihm sein Bruder all die Klavierauszüge. Als kleiner Junge hörte ich, wie mein Vater Offenbach, Johann und Josef Strauß, Lehár und Gershwin spielte”, erinnert sich Harnoncourt an die Ursprünge seiner musikalischen Entwicklung. Auch aus diesem Grund verbindet ihn ein spezielles persönliches Verständnis mit den Walzerwelten der Donaumetropole, das ihn bis in die Nuancierung der Details zum Spezialisten der scheinbar so simplen Dreiertakte macht: “Bei Josef ist es eine andere Art der Inspiration. Josef dachte mehr in Tönen. Er arbeitete immer tonmalerisch. Josef malte wie Turner, Johann Strauß wie Caspar David Friedrich.
Bei Josef liegt alles in der Harmonik und die Orchestrierung ist sehr subtil. Vielleicht ist sein Werk auch ein bisschen romantischer als Johanns. Aber andererseits erkennt man an den Kompositionen, die sie gemeinsam schufen, dass sie wirkliche Brüder waren. Ich könnte beim besten Willen nicht sagen, ob der eine besser war als der andere, so wenig wie ich sagen könnte, wer mehr Genie hatte: Mozart oder Beethoven”. Für den Zuhörer schließlich bedeutet dieses tiefe Verständnis der Musik einen besonders ausgewogenen Genuss. Ob live im Fernsehen oder auf CD in den heimischen vier Wänden y´ Harnoncourt und die Wiener Philharmoniker bringen viele der schönsten Momente, die die Strauß-Epoche zu bieten hat, in Erinnerung. Denn Unterhaltung ist eine Kunst, die viel zu selten in kompetente Hände gelegt wird. Umso besser, dass es das Neujahrskonzert gibt.