„Ich habe mit Poulenc angefangen und werde wohl auch mit ihm aufhören.“
Mit diesen Worten bekennt die Opernsängerin Patricia Petibon ihre Liebe zum „Enfant terrible“ der französischen Musik, Francis Poulenc. Zusammen mit dem Choeur de l`Orchestre de Paris und dem Orchestre de Paris unter der Leitung von Paavo Järvi hat sie ein beeindruckendes Album aufgenommen. Es zeigt die gläubige Seite Poulencs, der, obwohl streng katholisch erzogen, sich nach dem Tod seines Vaters von der Kirche abwandte.
„Ma musique est mon portrait“
Die Einspielung beginnt mit dem „Gloria“, das 1959 entstanden ist. Zu dem Werk inspiriert haben Poulenc nach eigener Aussage die „Fresken von Gozzoli in Florenz, auf denen die Engel die Zunge herausstrecken“. Dass diese Engel so frech gar nicht sind und in Wahrheit nur singen, zeigt einen wesentlichen Charakterzug Poulencs: Er sieht die Dinge auf seine Art, mit feinem Humor. So scheint auch Poulenc selbst bei „Laudamus te“ des Gloria der Tradition geistlicher Musik die Zunge herauszustrecken, denn anstatt von bitterem Ernst zu strotzen, sprüht es vor Leichtigkeit und Lebensfreude.
Alle, die Poulenc gekannt haben, unterstreichen sein widersprüchliches künstlerisches Wesen, das gerade durch diese Widersprüchlichkeit besticht: er ist in das Leben verliebt und zugleich melancholisch, zärtlich und empfindsam und doch flegelhaft und schelmisch, Dandy und gläubiger Katholik. Gerade das macht ihn so authentisch.
So passt es zu seinem Wesen, dass das Gloria all diese Charakterzüge vereint:
Das „Laudamus te“ und das „Domine Fili“ wirken unbeschwert und lebenslustig, während das „Domine Deus“ und das „Agnus Dei“ Poulencs tief empfundenen und ernsthaften Glauben ausdrücken.
Demütig und ergreifend
„Musik transportiert etwas ganz Wichtiges: etwas, was mit menschlichen Gefühlen, mit menschlicher Erfahrung zu tun hat“, sagt Paavo Järvi, Dirigent des Orchestre und Choeur de l´Orchestre de Paris, für den diese Aufnahme sein Debut bei der Deutschen Grammophon darstellt.
Diese menschliche Erfahrung, die oft sehr schmerzhaft sein kann, führte Poulenc zu seinen Kompositionen „Litanies à la Vierge noire“ und „Stabat Mater“.
Die „Litanies à la Vierge noire“ komponiert Poulenc nach dem tragischen Unfalltod seines Freundes, des Komponisten Pierre-Octave Ferroud. Durch diesen Verlust findet Poulenc zum Glauben zurück, unternimmt kurz nach dem Tod Ferrouds eine Wallfahrt nach Rocamadour zur schwarzen Madonna, „la Vierge noire“. Noch am selben Abend beginnt er mit der Komposition der Litanies, die er in sieben Tagen vollendet.
Auch das „Stabat Mater” komponiert Poulenc nach dem Tod eines Künstlers, dem Bühnen- und Kostümbildner Christian Bérard. Wieder gibt ihm die Madonna von Rocamadour Kraft, Marias Leid bei der Kreuzigung Jesu scheint ihm das aufrichtigste Gedenken zu sein.
Wie es zu Poulencs Charakter passt, folgen heitere auf dramatische, lebensbejahende auf angsterfüllte Passagen.
Patricia Petibon: tiefe Verbundenheit zu Poulenc
Die Opernsängerin Patricia Petibon ist wie geschaffen dafür, das göttliche Mysterium, das Poulenc durch seine Musik geschaffen hat, auf ehrliche und aufrichtige Art auszudrücken, mit einer Klarheit und Feinfühligkeit, die die musikalischen Ideen Poulencs hervorragend widergibt.
Patricia Petibon sagt selbst, Poulencs Musik sei wie eine Schlange, die sich den Weg in unser Herz hineinwindet. Man merkt ihr an, dass sie eine tiefe Verbundenheit mit dem Mann empfindet, dessen Wesen hinter jeder Note, hinter jedem Ton steckt, und so gibt auch sie sich ganz den Emotionen, die in seinen Kompositionen stecken, hin.
Die vokalen Linien sind oft sehr risikoreich, mit unerwarteten Intervallen und hohen Noten, die aus dem Nichts einbrechen. Doch Petibon wagt jedes Risiko und das Ergebnis gibt ihr Recht. Der Choeur de l´Orchestre de Paris ist in das Orchester eingebettet, klingt voll und erfüllt den ganzen Raum mit einer geistlichen Aura. Zudem beherrschen es die Musiker, die gewisse Leichtigkeit in Poulencs Musik zu unterstreichen, die sich nie allzu ernst nimmt.
Vor den geistlichen Werken Poulencs sollen wir nicht in Ehrfurcht erstarren, denn sie sind von einem Menschen komponiert, der die Ängste und Freuden, das Leid und den Humor der Menschen kennt und in Musik zu verwandeln versteht. Poulencs geistliche Musik ist Religiosität, die nicht den Zeigefinger hebt, sondern, erfüllt von Demut und Esprit, Ernsthaftigkeit und Gelassenheit, die Verehrung Gottes und Marias zum Ausdruck bringt.