Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bis zum Ende der Weimarer Republik zählt zu den kreativsten und produktivsten Epochen des vergangenen Jahrhunderts in Deutschland. Die große Berliner Sommerausstellung „Modell Bauhaus“ präsentiert nun von 21 Juli an im Martin-Gropius-Bau zum ersten Mal überhaupt Exponate aus allen drei Bauhaus-Standorten Weimar, Dessau und Berlin. Es ist eine eindrucksvolle Synthese einer zentralen Ästhetik der Moderne, die sich nicht auf die bildende Kunst, Architektur und Design beschränkt hat. Denn auch die Komponisten dieser Jahre haben intensiv nach neuen Formen des Ausdrucks gesucht. Daher hat die Deutsche Grammophon nun in Ergänzung zu der Ausstellung, aber auch unabhängig davon, die Doppel-CD „Bewegte Zeiten – Neue Musik in der Weimarer Republik 1919 – 1933“ zusammengetragen. Das Spektrum reicht von Alban Berg bis Kurt Weill, von neutönender Avantgarde bis zur politischen Tondichtung – ein imposantes Kompendium der kulturellen Ursprünge unserer Gegenwart.
Die Zwanziger Jahre waren auch eine Zeit des Optimismus. Nach der Katastrophe des Weltkriegs waren zumindest die humanistisch geprägten Kräfte der festen Überzeugung, dass nun ein großes Bedürfnis nach Ästhetik auch im Alltag folgen würde. Schlechter Publikumsgeschmack sei nur eine bequeme Ausrede für merkantiles Unvermögen, genügend Qualität herbei zu schaffen, und das Publikum sei daher durch ein dementsprechend hohes Niveau zu begeistern. Auch das 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründete Bauhaus als Zusammenschluss der dortigen Hochschule und der Kunstgewerbeschule stand hinter diesem Gedanken und engagierte sich vor Ort, wie auch in den späteren Dependancen in Dessau und Berlin für die Verbindung von Kunst, Handwerk und Technik. Führende Maler der damaligen Ära wie Lyonel Feininger, Paul Klee und Wassily Kandinsky wurden an das Institut verpflichtet. Es entstand ein reger Austausch, der auch mit Künstlern anderer Sparten gepflegt wurde. Oskar Schlemmer beispielsweise kreierte 1922 das Triadische Ballett, für das Paul Hindemith die Musik geschrieben hatte. Komponisten wie Ferrucio Busoni und Ernst Krenek gestalteten eigenen Beiträge zur Bauhaus-Woche 1923.
Auch der Gedanke, Musik über die strenge Formgebung der Zwölftonskalen quasi konstruieren zu können, fand Entsprechungen in den architektonischen und designorientierten Werkformen der Bauhauskünstler. Aber natürlich gingen die Komponisten in anderen Dingen weit darüber hinaus. Eine revolutionäre Oper wie Alban Bergs „Wozzeck“ beispielsweise, die der Musik eine autonome, vom Drama unabhängig funktionierende Struktur verlieh, ohne die szenische Wirkung zu negieren, leitete eine neue Epoche der Bühnenkunst ein. Die musikalische Bandbreite reichte damals vom neoklassizistischen Impetus eines Busoni bis zur Abstraktion eines Schönbergs, vom epischen Theater Brecht/Weills bis hin zu Erwin Schulhoffs „Stücken für Streichquartett“, die klangethnische Ideen anderen Kulturen integrierten.
Die umfangreiche Zusammenstellung „Bewegte Zeiten – Neue Musik in der Weimarer Republik 1919 – 1933“ hat es sich daher zum Ziel gesetzt, weitgehend chronologisch diese Entwicklungen zu skizzieren und auf zwei CDs nachvollziehbar zu machen. In herausragenden Interpretation, die famose Solisten wie András Schiff, Peter Serkin, Anne Sofie von Otter, Kim Kashkashian, renommierte Ensembles wie das Schönberg Quartett, das Hagen Quartett und Maestri wie Herbert von Karajan, Giuseppe Sinopoli, Riccardo Chailly und sogar Paul Hindemith persönlich versammeln, werden die Jahre des Aufbruchs pointiert dokumentiert. Das Spektrum der Musik umfasst Werke von Berühmtheiten wie Ernst Schönberg, Kurt Weill, Erwin Schulhoff und Alban Berg ebenso wie Stücke heutzutage weniger geläufiger, damals aber zentraler Komponisten wie Franz Schrecker, Alexander von Zemlinsky und Eduard Erdmann. So kann ein Blick entstehen, der die Vielschichtigkeit dieser Epoche ebenso wahrnimmt wie die Tragik deren abrupten, gewaltsamen Endes im Jahr 1933. Nicht umsonst schließt „Bewegte Zeiten – Neue Musik in der Weimarer Republik 1919 – 1933“ mit dem zweiten Satz aus Paul Hindemiths Sinfonie „Mathis der Maler“. Er trägt den Titel „Grablegung“.