Pierre Boulez | Offizielle Biografie

Biografie

Pierre Boulez c Uwe Arens / DG
Pierre Boulez wurde am 26. März 1925 in Montbrison im französischen Département Loire geboren. Wäre es nach seinem Vater gegangen, wäre er Ingenieur geworden. Es sprach auch einiges dafür, dass der Mittelstands-Junge aus der französischen Provinz in die Fußstapfen seines Erzeugers treten würde, der als Techniker in der Stahlbrache arbeitete. Er war gut in der Schule, mathematisch so begabt, dass er vom katholischen Collège in Saint-Etienne weiter nach Lyon auf ein naturwissenschaftliches Spezial-Seminar geschickt wurde. Wohlmöglich wäre er sogar in dieser Linie geblieben, wenn es ihn nicht nach Paris gezogen hätte. Mit 18 Jahren nabelte er sich von Zuhause ab, ging in die französische Hauptstadt und änderte grundlegend seine Zukunftspläne.
Im Oktober 1944 schrieb er sich am Konservatorium in der Klasse für Harmonielehre von Olivier Messiaen ein. Aus dem Hobby – seit dem siebten Lebensjahr hatte er Klavierunterricht bekommen und war außerdem im Schulchor aktiv gewesen – wurde eine Leidenschaft. Durch Messiaen lernte er die Klangwelt von Stravinsky, Bartók und der alten und neuen Wiener Schule kennen. Durch ihn verstand er auch, wie wichtig es ist, nicht über Musik, sondern in Musik zu denken. Als erste Talentprobe sendete der französische Rundfunk seine “Trois Psalmodies” (1945) für Klavier, noch zaghafte Schülerarbeiten im Stil des Lehrers mit einem Hang zu Schönbergscher Abstraktion. Doch bald schon sollte sich der Eleve als eigenständiger Komponist bewähren. Ein kurzer Unterricht bei René Leibowitz brachte ihm die Dodekaphonik nahe, atonale, serielle und elektroakustische Experimente folgten. Der erste Job als Leiter der Compagnie Renaud-Barrault brachte ihn mit der Bühnenmusik zusammen, 1954 gründete er eine Konzertreihe für neue Musik “Concerts du Petit Marigny / Domaine Musicale”, im Jahr darauf gelang ihm mit “Le Marteau Sans Maître” der internationale Durchbruch als Komponist, der beinahe gleichzeitig mit dem Erfolg als Dirigent einher ging.
1958 begann seine Dirigenten-Karriere als ständiger Gast des Südwestfunk-Orchesters. Von 1960 bis 1962 lehrte Boulez an der Musikakademie der Stadt Basel Komposition, war daraufhin Principal Guest Conductor des Cleveland Orchestra (1967–72) sowie Chefdirigent des BBC Symphony Orchestra (1971–75) und der New Yorker Philharmoniker (1971–77). Von 1977 an widmete Pierre Boulez sich überwiegend seiner Arbeit in dem von der französischen Regierung unterstützten “Institut de Recherche et de Coordination Acoustique/Musique” (IRCAM) im Pariser Centre Pompidou . Erst 1992 trat er von der Leitung des IRCAM zurück, blieb aber weiterhin Präsident des von ihm gegründeten Ensemble InterContemporain, das einen hervorragenden Ruf als eines der besten Orchester für zeitgenössische Musik genießt. 1995 wurde Pierre Boulez zum Principal Guest Conductor des Chicago Symphony Orchestra ernannt. Dreimal hat er in Bayreuth spektakuläre Inszenierungen dirigiert, der “Parsifal” 1970, den Jubiläums-"Ring" 1976 und 2004 erneut den “Parsifal” in der umstrittenen Inszenierung von Christoph Schlingensief.
Bereits seit den sechziger Jahren gehört Pierre Boulez somit zu den wichtigsten und prägenden Gestalten des zeitgenössischen Musikgeschehens. Im Laufe seiner glanzvollen Karriere ist er immer wieder auf Widerspruch gestoßen, schon weil er sich keinen Moden fügen wollte, sondern nur seiner eigenen Vorstellung von musikalischer Kraft folgte. Und die gründete auf besonderen Ansprüchen an die Qualität der Darstellung, ganz gleich ob er als Gründer des Ensemble Intercontemporain der Neuen Musik ein passendes Forum schuf oder ob er mit dem IRCAM dem Nachwuchs auf den Weg half. Sein Ruf als Dirigent ist bei den namhaften Orchestern der Gegenwart unbestritten, mit immerhin 26 Grammys und zahlreichen weiteren Preisen wurde er bislang ausgezeichnet. Er erhielt 1979 den Ernst-von-Siemens-Musik-Preis, 1989 von der Japan Art Association als erster Preisträger den “Praemium Imperiale”. Für seinen Einsatz für die Musik des 20. Jahrhunderts wurde Pierre Boulez unter anderem 1995 mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik ausgezeichnet, von der englischen Musikzeitschrift Gramophone zum “Künstler des Jahres” ernannt und erhielt anläßlich seines 70. Geburtstages eine besondere Ehrung bei den Victoires de la Musique in Frankreich. 1996 wurde ihm der Berliner Kunstpreis verliehen, und die Königlich Schwedische Musikakademie zeichnete ihn mit dem Polar Music Prize als große kulturelle Persönlichkeit aus und zuletzt bekam er im Januar 2004 die Goldene Ehrenmedaille seiner Wahlheimatstadt Baden-Baden überreicht.
Bereits in den 70er Jahren gingen aus der Zusammenarbeit von Boulez und der Deutschen Grammophon, mit der er ist seit 1989 exklusiv vertraglich verbunden ist, preisgekrönte Aufnahmen wie die Bayreuth-Produktion des “Parsifal” und Bergs “Lulu” hervor. Seitdem hat er für das Label mit internationalen Spitzen-Orchestern eine Art Überblick über die wichtigsten Werke der Moderne bis hin zur absoluten Avantgarde vorgelegt. Seine umfangreiche Diskographie umfasst eine Vielzahl preisgekrönter Aufnahmen wie seine Bartók-Reihe mit dem Chicago Symphony Orchestra, darunter “The Wooden Prince”, “Cantata Profana”, das “Konzert für Orchester” und “Herzog Blaubarts Burg”. Darüber hinaus hat er Werke von Ligeti, Webern, Birtwistle und eigene Kompositionen mit dem Ensemble InterContemporain eingespielt sowie Berlioz “Symphonie fantastique” und Werke von Debussy mit dem Cleveland Orchestra. Mit den Berliner Philharmonikern widmete er sich Werken von Ravel und Webern. Zu seinen wichtigsten Einspielungen zählen außerdem die Symphonien von Mahler, die er mit den Wiener Philharmonikern, dem Cleveland Orchestra und dem Chicago Symphony Orchestra aufgenommen hat.
Anlässlich seines 80. Geburtstags veröffentlichte die Deutsche Grammophon eine Jubiläums-Box, die exemplarisch einige Schlaglichter auf Boulez umfangreiches Schaffen wirft. Eine Gustav-Mahler-Zusammenstellung widmet sich den Orchesterlieder und den Liederzyklen des Komponisten und bietet mit Interpreten wie Thomas Quasthoff, Anne Sofie von Otter, Violeta Urmana und den Wiener Philharmonikern ein großes Staraufgebot neben Boulez selbst. Die zweite CD stellt die drei Klavierkonzerte von Béla Bartók vor, mit verschiedenen Spitzenorchestern und den Solisten Krystian Zimerman, Leif Ove Andsnes und Hélène Grimaud ebenfalls prominent besetzt. Den Interpreten von Boulez' eigenen Klaviersonaten, den jungen Finnen Paavall Jumppanen, hat er selbst vorgeschlagen. Sie sing im Rahmen der innovativen Reihe 20/21 erschienen. Und das Ensemble Intercontemporain verneigt sich vor seinem Gründer mit einer Neueinspielung von “Le Marteau Sans Maître / Dérive 1 & 2”, die ebenfalls im Rahmen von 20/21 veröffentlicht wurden.

6/2005
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