Hartnäckig haftet der Stempel des
Impressionismus' am Oeuvre
Claude Debussys. Fast schon landläufig ist seit geraumer Zeit jedoch auch die Meinung, Debussy selbst habe diese Kategorisierung vehement abgelehnt. Bekannt ist sein spöttischer Ausspruch, der neue Weg, den er mit seiner Musik zu beschreiten beabsichtige, werde Impressionismus genannt – “von Dummköpfen". Auch
Pierre-Laurent Aimard bekundete in einem Gespräch zum
150. Geburtstag des Komponisten unlängst seine Abneigung gegenüber diesem Etikett. Man müsse sich zunächst einmal Klarheit über die Herkunft des Begriffs verschaffen. Gehe er doch auf ein Satiremagazin zurück, das die Maler um Claude Monet und Edgar Degas nach ihrer ersten Gruppenausstellung im Jahr 1874 aufgrund der vermeintlichen Skizzenhaftigkeit ihrer Werke in einem Artikel verspottete, der den Titel “Ausstellung der Impressionisten” trug.
Rastloser Künstler In Bezug auf Debussys Werke verweist Aimard auf eine unglaubliche Vielfalt von Stilen und Kompositionstechniken. Ein Interpret, der sie nicht zur Kenntnis nimmt, warnt der Pianist, müsse unweigerlich sein Ziel verfehlen. Für ihn verkörpert Debussy einen rastlosen Künstlertypus, der beständig danach strebte, seine musikalische Sprache weiter zu entwickeln. Eine gelungene Interpretation seiner Klavierwerke beruhe eigentlich weniger auf einer virtuosen Ausführung oder einem falsch verstandenen impressionistischen Duktus, erklärt Aimard und lenkt den Blick auf einen anderen Aspekt: “Debussy kannte sich bestens in der Kunst aus. Er hatte ein nie endendes Verlangen danach. Und ich glaube, man kann jedem Stück viel mehr geben, wenn man nachvollzieht, in welchem künstlerischen Umfeld er lebte.”
Meister der Verschleierung Für
Pierre-Laurent Aimard sind Debussys Kompositionen Momentaufnahmen. Sie reflektieren, was er sah, las und fühlte. Sie sind Reaktionen auf die Texte seiner Dichterfreunde Pierre Louÿs und Stéphane Mallarmé, Auseinandersetzungen mit literarischen oder historischen Figuren, sie bilden den Widerhall von Szenen, die er beobachtete. Und hier fängt die
Herausforderung für einen Pianisten an. Denn Debussy, so Aimard, war ein Meister der Verschleierung: “Manchmal kennt man die Quelle. Oft sogar genau. Aber in anderen Fällen überhaupt nicht. Man weiß nicht wirklich, wohin er uns führt, und das ist bestimmt Absicht.”
Pierre-Laurent Aimard spielt die 24 Préludes Aimard hat sich nach seiner letzten Debussy-Aufnahme für
Deutsche Grammophon im Jahr 2003 viel Zeit für seine neue Einspielung gelassen: die
24 Préludes. Denn besonders sie faszinieren durch Ambiguitäten, die schon in den Titeln zum Ausdruck kommen, und, wie Aimard betont, eine Vielzahl von Interpretationen zulassen. Auf das Beispiel der “Brouillards” (“Nebel”) kommend, setzt er sich ans Klavier: “In diesem Prélude amüsiert sich die eine Hand mit Dreiklängen, es gibt Reminiszenzen von Strawinskys Ballett Pétrouchka. Die andere Hand spielt währenddessen etwas ganz anderes, sie versteckt die erste, zu offensichtliche Musik. So wird die Anspielung verwischt. Gelegentlich nimmt man sie noch etwas wahr, dann verschwindet sie wieder.”
Offene Fragen für das Debussy-Jahr 2012 Was ist das für ein “Nebel”? Liefert Debussy hier eine musikalische Landschaftsbeschreibung? Betreibt er ein musikalisches Versteckspiel? Aimard stellt Fragen, die offenbleiben. Er beschreibt Debussy als einen Musiker, der mit seiner eigenen Komposition spielt. Einen Musiker, der seine Anspielung versteckt, bevor er sie plötzlich erscheinen lässt. Die
ungebrochene Faszination Debussys zelebrieren, ihn “etwas raffinierter präsentieren”, jenseits überkommener Denkmuster deuten – darum geht es Pierre-Laurent Aimard mit seiner neuen Aufnahme der Préludes. Ist ein wertvollerer Beitrag für das
Debussy-Jahr 2012 denkbar?