Eigentlich wollte er Schauspieler werden. Doch als er sich in den 1950er Jahren mit Basiswissen der Gesangskunst vertraut macht, da zeichnet sich bald ab, wie machtvoll seine Stimme ist und dass er mit ihr ein wunderbares Instrument zur Verfügung hat, um seinen Gefühlen Ausdruck zu verleihen. Denn genau das will er: sich zeigen, sich mitteilen, seinen Neigungen und Einsichten Gestalt geben. René Kollo ist schon früh ein Typ, eine schillernde Persönlichkeit mit scharfen Konturen.
Jazz, Klassik, Schlager: Tausendsassa Kollo
Sein Erfahrungsschatz wächst rasch. Er probiert viel aus. Der junge Tausendsassa eignet sich Folksongs an, spielt Dixieland und liebt Klassik. Kollo lernt Schlagzeug, Kontrabass und Gitarre, ist in Jazzkellern unterwegs und genießt die Zeit des Aufbruchs nach dem Zweiten Weltkrieg. Seinen ersten großen Erfolg feiert er mit einem Schlager. Die deutsche Version von “Hello Mary Lou” erorbert in Windeseile das Publikum. Kollo verleiht dem Song eine ureigene Coolness, in der Witz und Swing zu einer unwiderstehlichen Melange verschmelzen.
Schon damals war Schlager mehr als biederes Geschunkel. René Kollo öffnete eine Tür zur Welt, und das Publikum folgte ihm. Doch der begnadete Sänger schwärmt weiter aus und beginnt eine Opernkarriere. Seine erste Station ist das Staatstheater Braunschweig, wo er sich als lyrischer Tenor profiliert. An der Deutschen Oper am Rhein konsolidiert er seinen Ruf als außerordentliches Sängertalent, bevor er mit Anfang 30 den ganz großen Schritt wagt und den Grünen Hügel in Bayreuth besteigt.
Melancholische Rollen: Heldentenor von Weltrang
Kollo stellt sich im Richard-Wagner-Festspielhaus mit einer Arie aus Bizets Meisteroper “Carmen” vor und verdient sich prompt ein Engagement. Seine Weltkarriere als unübertrefflicher Wagner-Interpret setzt ein. René Kollo mausert sich zu einem Heldentenor, der wie kaum ein anderer Sänger widersprüchliche Gefühlslagen zu verkörpern weiß. Seine Spezialität: Er verleiht Figuren wie Lohengrin, Tristan oder Parsifal eine nachvollziehbare Menschlichkeit, die unmittelbar zu Herzen geht.
“Ich habe immer Rollen gehabt”, so Kollo in einem Fernsehinterview, “in denen ich ein bisschen melancholisch und poetisch sein konnte.” Kollos Helden sind keine unnahbaren Giganten. Sie zeigen sich verletzlich. Bei aller Wucht und Dominanz strahlen sie doch eine natürliche Menschlichkeit aus, die schwärmen macht, wenn man Kollo jetzt wieder Wagner singen hört. Auf seinem gerade erschienenen Doppelalbum, das aus Anlass seines 80. Geburtstags am 20. November 2017 erscheint, kann man das erleben.
Unvergessene Highlights: Von Mary Lou bis zu den Meistersingern
Die Jubiläumsgabe versammelt unvergessene Highlights des illustren Sängers. Neben Wagner hört man ihn hier mit bezwingender Inbrunst Beethoven, Weber, Brahms und Mahler singen. Dass ihm die leichte Muse wichtig blieb, untermauert der zweite Tonträger des Albums mit einer hinreißenden Sammlung von Operetten-Arien und Folksongs.
Kurt Weill, Johann Strauss II, Emmerich Kálmán, Franz Lehár und Jacques Offenbach heißen hier die Komponisten, deren musikalischen Witz und beiläufigen Tiefsinn René Kollo mit coolen Gesten durchdringt. Dass “Wiener Blut”, “Dein ist mein ganzes Herz” und “Hello Mary Lou” in einer solchen Ausgabe nicht fehlen dürfen, versteht sich von selbst.