Friedrich Nietzsche liebte Musik, sein Bonmot, ohne sie sei das Leben ein Irrtum, wird bis heute gern zitiert. Anno 1872 verschaffte er seiner Leidenschaft sogar einen theoretischen Unterbau und behauptete die „Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik“. Darin stritt das Dionysische mit dem Apollinischen, das Rauschhafte mit dem Reinen. Und zumeist bezog Nietzsche seine Ausführungen auf Richard Wagner, den er schon als Student in Leipzig kennengelernt hatte und zu dem er in späteren Jahren zeitweilig engen persönlichen Kontakt hielt. Es war eine Auseinandersetzung mit dem Genialischen, die ihn herausforderte, bin hin zu dem Punkt, dass er den Komponisten in seiner vierten „Unzeitgemäßen Betrachtung“ sogar in den Tiel nahm:
„Richard Wagner in Bayreuth“.
Der Komponist Nietzsche Weniger bekannt ist, dass
Friedrich Nietzsche auch selbst komponierte. Er hatte in jungen Jahren Klavier gelernt und es immerhin soweit gebracht, dass er noch in seinen Baseler Zeiten immer wieder mit Freunden vierhändig spielte. Und er versuchte sich auch an der Vertonung von Gedichten, allerdings unsicher genug, dass er beispielsweise seine
„Manfred-Meditation“ dem Dirigenten Hans von Bülow zur Begutachtung schickte, der ihm immerhin ein gewisses Talent bescheinigte. So oder so ist es ein Phänomen, dass Nietzsche sich zeit seines Lebens mit Musik auseinandersetzte. Und es war auch einer der Ausgangspunkte, der die Autorin Kerstin Decker für ihre Buchprojekt besonders interessierte. Mit ihrer Doppelbiographie
„Nietzsche und Wagner“ beleuchtet sie eloquent und unterhaltsam die Verbindung dieser beiden Koryphäen der Kulturgeschichte.
Wagners Weltgeist Damit der interessierte Leser einen akustischen Eindruck davon bekommen kann, auf welche Musiken sich diese Lebens- und Freundschaftsgeschichte bezieht, wurde in Ergänzung zu Kerstin Deckers Untersuchungen ein Doppelalbum zusammengestellt, das die beiden Meister mit ihren Werken gegenüberstellt. Auf der einen Seite steht
Richard Wagner in aller Opulenz vom „Siegfried-Idyll“, über „Tristan und Isolde“, „Rheingold“ und „Siegfried“ bis zum „Parsifal“. Es handelt sich um Passagen und Arien, auf die Kerstin Decker in ihrem Buch ausdrücklich eingeht, eine Ergänzung, die musikalisch unterstreicht, worüber in der Biographie geschrieben wird. Die Aufnahmen von
Sir Georg Solti unter anderem mit Solisten wie
Kirsten Flagstad und
Hans Hotter und den
Wiener Philharmonikern gehören längst zu den Meilensteinen der Wagner-Interpretation und machen in eindrucksvoller Eindringlichkeit deutlich, was einen Denker wie Nietzsche an Wagners Klangkosmos fasziniert haben muss.
Auf der anderen Seite steht eine rare Aufnahme des im vergangenen Mai verstorbenen Bariton
Dietrich Fischer-Dieskau, der zu den produktivsten Interpreten der vergangenen Jahrzehnte gehörte und sowohl im Opernfach wie in der Liedkunst bewandert war. Er hat sich im Speziellen 16 Liedern angenommen, ergänzt um zwei vierhändige Kompositionen, die die musikalischen Experimente von
Friedrich Nietzsche dokumentieren. Es ist ein ungewöhnliches, überraschendes Kapitel Musikgeschichte, übrigens – auch das ist eine Rarität – mit dem Komponisten Aribert Reimann als Klavierpartner von
Dietrich Fischer-Dieskau. Und es verdeutlicht, wie antagonistisch Nietzsche und Wagner bei aller Gemeinsamkeit der Verehrung von Musik an sich im Detail gegenüberstanden. Ein ebenso spannender wie erhellender Ausflug in die akustische Kulturgeschichte.