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Als Komponist und Dirigent ein Meister – Strauss dirigiert Strauss

Strauss dirigiert Strauss
© Deutsche Grammophon
01.04.2014
Seit jeher faszinieren Dirigenten das Publikum. Mit ihren gekonnten Gesten, ihrer unirritierbaren Konzentriertheit und ihrer persönlichen Ausstrahlung können sie einen ganzen Konzertsaal in ihren Bann ziehen. Im Idealfall lenken sie dabei die ganze Aufmerksamkeit des Orchesters auf sich. Dann sind sie der absolute Leitstern, an dem sich alles im Konzertsaal orientiert.

Extremer Anspruch

Aber Dirigenten hinterlassen ihr Siegel nicht nur im Konzertsaal. Auch an anderen Stellen des musikalischen Unternehmens prägen sie das Geschehen: als Person, die auf eine bestimmte Weise mit Menschen umgeht und mit ihnen große Werke einstudiert, als Verantwortliche, die für das Endergebnis einer Aufführung einstehen, und nicht zuletzt als intime Kenner eines Werkes, von dem sie in irgendeiner Weise glauben, dass sie es so eigenwillig durchdrungen haben wie niemand zuvor. Die Last eines solchen Amtes muss ungeheuerlich sein, aber die Chance, etwas zu bewirken, ist eine kräftige Triebfeder, die Menschen zu Höchstleistungen animieren kann.   

Zwei Charaktere

Schaut man sich die Gesten an, dann kann man grob zwei Typen von Dirigenten unterscheiden. Die einen, wie Sir Georg Solti, explodieren am Pult. Sie legen ihren ganzen Körper in die Musik hinein und offenbaren bei jeder Note, was sie gerade empfinden. Ihr Gestus vermag durch die Verausgabung, durch die unbedingte Hingabe an das Werk zu überzeugen. Die anderen hingegen sind beherrscht. Sie glühen innerlich. Ihnen ist die Spannung ins Gesicht geschrieben. Aber dort und im Taktstock verbleibt sie. Sie schnellt nicht heraus, sondern wird im Inneren kontrolliert austariert.

Aufrichtig und meisterhaft

Es fällt nicht schwer, Richard Strauss in dieses Raster einzufügen. Es gibt wohl keinen Dirigenten des 20. Jahrhunderts, der so kühl, so lakonisch dirigierte wie dieser große Meister. Und dass er auf diese Weise eine solch große Bewunderung und Hochachtung hervorrufen konnte, ist beileibe kein Zufall. Richard Strauss war, das berichten alle, die ihn gekannt haben, eine natürliche Autorität. Und eine solche entsteht nicht durch Extravaganz, sondern durch pure Meisterschaft und Aufrichtigkeit. Man muss sich nur die raren Filmaufnahmen anschauen, bei denen man Strauss seinen “Till Eugenspiegel” oder im hohen Alter von 85 Jahren noch seinen “Rosenkavalier” dirigieren sieht, und es wird sofort klar, wie magisch seine Anziehungskraft auf das Orchester war, wie sehr sie ihn alle bewundert, verehrt, ja geliebt haben.   

Ein Schüler Hans von Bülows

Dabei wusste Strauss genau, was er tat. Abgeguckt hat er sich die Kunst des gestisch reduzierten Dirigierens bei Hans von Bülow, einem der größten Dirigenten des 19. Jahrhunderts. Strauss war 21 Jahre alt, als Hans von Bülow ihn als Assistent nach Meinungen holte. Noch Jahre später wird Strauss sich lebhaft an diese Lehrjahre erinnern. An Hans von Bülow bewunderte er das zwingende Moment des Dirigierens und die künstlerische Disziplin, mit der dieser große Meister sich dem Geist eines Werkes unterordnete. Bei von Bülow war nichts dem Zufall überlassen, und es ging bei ihm stets, wie Strauss stark betonte, um den “poetischen Inhalt”.

Poetische Präzision

Der “poetische Inhalt” – gibt es einen besseren Ausdruck, um das klangliche Resultat zu bezeichnen, das der Dirigent Richard Strauss der Nachwelt vermacht hat? Wenn man jetzt auf der Zusammenstellung “Strauss dirigiert Strauss” (7 CDs) des gelben Labels hört, wie er seine eigenen Tondichtungen interpretiert, wie er Mozart und Beethoven, Cornelius, Gluck und Wagner versteht, dann könnte man immerzu dieses Prinzip ausrufen: “poetischer Inhalt”. Es ist eine Offenbarung, wie Strauss jede einzelne Phrase präzise herausarbeitet, wie fließend bei ihm die Tempowechsel vonstatten gehen, wie er die leidenschaftlichen Ausbrüche romantischer Musik exakt zu rahmen weiß und wie fein er lange Linien zu ziehen vermag. Strauss weiß: Die emotionale Hitze liegt in den Harmonien. Sie ist in der Struktur der Musik verborgen. Sie muss freigelegt werden. Der Dirigent braucht sie nicht künstlich zu erzeugen. Das ist der tiefere Grund für die zum Teil schräge Coolness, mit der Strauss am Dirigierpult steht.  

Nobel und warmherzig

Strauss blieb die Anerkennung als Dirigent nicht versagt. Herbert von Karajan lobte: “Bei ihm hat jede Geste Bedeutung.” Und Walter Legge, der berühmte EMI-Produzent, berichtet, dass er Abend für Abend wie manisch Strauss-Aufnahmen hörte, bis zu dem Punkt, an dem er keinen Dirigenten mehr zu sehen vermochte, der an Strauss’ menschliche Wärme, an seinen Humor, an seine Noblesse, kurz: an die essentielle Art seines Musikmachens, heranreichte. Bleibt der große George Szell, der in dem Film “The Art of Conducting” (1997), in dem man Strauss seinen “Eugenspiegel” dirigieren sieht, so ironisch wie enthusiastisch ausruft: “Ein wundervoller Dirigent, ein wundervoller Dirigent! Man kann das so sagen, obwohl es keinen visuellen Beweis dafür gibt, dass er dirigierte.” Aber das ist die Pointe: Musik sieht man nicht, man hört sie, und das kann man jetzt mit “Strauss dirigiert Strauss” genüsslich tun.

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