Er war gerade einmal acht Jahre alt, da wurde er bereits in die kaiserliche Hofkapelle aufgenommen. Seine Sopranstimme war von so außergewöhnlicher Schönheit, dass sich niemand ihrem Klang zu entziehen vermochte. Clemens Krauss war ein Frühreifer. Als 12-Jähriger war ihm bereits klar, dass er Musiker werden wollte, und schon mit 19 Jahren, er hatte gerade als Dirigent und Pianist das Wiener Konservatorium absolviert, leitete er seine erste Opernvorstellung.
Nur Musik, nichts als Musik
Was dann folgte, war eine bilderbuchmäßige Kariere als Dirigent und Theaterleiter. Seine ungeheuere Wirkung an der Bayerischen Staatsoper, bei den Wiener Philharmonikern und bei den Salzburger Festspielen ist von zahlreichen Zeitgenossen hymnisch gelobt worden. Der damals hoch angesehene Musikkritiker Oskar von Pander hat der Münchener Zeit von Clemens Krauss sogar ein Buch gewidmet, so prägend war die Gestalt des österreichischen Meisterdirigenten für das damalige Kulturleben in der bayerischen Metropole. Das Credo des Buches: Krauss war kein eitler Mann des Ruhmes. Er lebte einzig und allein für die Musik, und kein lebender Komponist war ihm dabei so sehr ans Herz gewachsen wie Richard Strauss, den Krauss in eine Reihe mit Verdi, Mozart und Wagner stellte.
Begeisterte Künstlerfreunde
Richard Strauss hatte für Clemens Krauss schon zu Lebzeiten den Rang eines Klassikers, und an der musikalischen Hebung dieses Großmeisters Anteil zu haben, war das Lebenselixier und die künstlerische Nahrung dieses begnadeten Dirigenten. Krauss, der 1893 in Wien geboren wurde und 1954 während einer Tournee in Mexiko City verstarb, lernte Strauss bereits in den 1920er Jahren kennen. Es muss zwischen den beiden bald gefunkt haben, denn aus dieser Begegnung erwuchs eine der fruchtbarsten Künstlerfreundschaften des 20. Jahrhunderts. Krauss bewunderte den älteren Strauss über alles und legte sein ganzes Können in die Waagschale, um dem Werk dieses wichtigsten Wagner-Nachfolgers gerecht zu werden.
Unbedingtes Vertrauen
Das schloss Kritik und Anregungen, die er sich Strauss gegenüber durchaus gestattete, keineswegs aus. Im Gegenteil. Die Großzügigkeit des Komponisten ermunterte Krauss sogar, an der Vollendung seines Werkes schöpferisch mitzuwirken. “Ich möchte Ihnen mit meinen ewigen Anregungen nicht lästig fallen”, schrieb Krauss, nachdem er Richard Strauss mal wieder etliche Korrekturvorschläge unterbreitet hatte, “aber meine Liebe zu Ihrem Werk ist so groß, dass ich mir erlauben darf, Ihnen solche Gedanken zum Ausdruck zu bringen.”
Richard Strauss seinerseits wusste, was er an Clemens Krauss hatte. Er erkannte die musikalische Größe des Dirigenten auf Anhieb. Was er an ihm so sehr schätzte, das war, dass Krauss eine kristallklare Poesie seiner Musik zu Tage förderte, die Strauss in der Form bislang selbst noch nicht gehört hatte. Als er Clemens Krauss einmal “Die Frau ohne Schatten” dirigieren hörte, da brach seine Begeisterung ungefiltert heraus, und er bekannte gegenüber Krauss: “Ich hab’ gar nicht gewusst, dass so viel Schönes in meiner Musik ist. Ich werd’ das nicht mehr dirigieren, das überlass’ ich jetzt nur noch Ihnen.”
Feingefühl und Klarheit
Für soviel Anerkennung eines Großmeisters des 20. Jahrhunderts revanchierte Krauss sich auf seine Weise. Mit herkulischer Energie hob er den Strauss-Schatz und hinterließ der Nachwelt eine so feingliedrige, so pathosgeladene und zugleich transparente Klangkunst, dass man regelrecht überwältigt ist, wenn man das jetzt in der Edition “Clemens Krauss dirigiert Richard Strauss” (Decca) alles hören darf. Dabei ist es vielleicht sogar erklärlich, dass Clemens Krauss wie kein anderer berufen war, nicht nur die Opern, sondern vor allem die Tondichtungen von Richard Strauss zu interpretieren.
Krauss war ein Meister des Gesanglichen in der Musik. Er verstand sich in der Oper glänzend darauf, die einzelnen Stimmen in besonderer Deutlichkeit herauszuarbeiten. Für die Interpretation der Tondichtungen ist aber, auch wenn die Stimmen hier von Instrumenten gespielt werden, nichts wichtiger als die Klarheit der Stimmführung. Strauss hat immer eingeräumt, dass seine “verästelte Polyphonie” den Interpreten in größte Schwierigkeiten bringen kann, und er hatte in Krauss einen kongenialen Partner, der genau diese Herausforderung zu meistern verstand.
Unschätzbare Edition
So kommt es einem jetzt fast vor, als sängen die Instrumente, wenn man auf den gerade erschienenen Decca-CDs Tondichtungen wie “Also sprach Zarathustra”, “Don Quixote” oder “Till Eulenspiegels lustige Streiche” in der Interpretation von Clemens Krauss hört. Den “Till Eulenspiegel” interpretiert Krauss weicher als der Dirigent Richard Strauss. Wie man überhaupt den Eindruck gewinnt, dass Krauss mit seinen überaus feinsinnigen Wiener Philharmonikern das zärtliche Moment bei Strauss in besonders eindringlicher Weise darzustellen versteht. “Ein Heldenleben”, bei dem man den großen Geiger Willi Boskovsky das unfassbar moderne Violinsolo spielen hört, macht dann aber unmissverständlich klar, dass Krauss auch etwas von den kraftvollen Momenten bei Strauss versteht.
Dass der jetzt erschienenen Decca-Edition am Ende noch die ersten fünf Szenen aus der Oper “Salome” hinzugefügt wurden, ist dabei mehr als ein Bonus. Es ist ein Fingerzeig. Im Theater walten die großen Gefühle, und Richard Strauss bezeichnete ein gemeinsames Projekt mit Clemens Krauss einmal als “theatralische Fuge”. So kann man auch die Tondichtungen verstehen. Es geht um viel Gefühl, aber es geht auch um Form. Und wenn diese beiden, Gefühl und Form, zusammenkommen, dann entsteht die schönste Kunst, die es gibt. Mit dieser neuen Decca-Veröffentlichung, der ein umfassender Essay aus der Feder des grandiosen Musikschriftstellers Nigel Simeone beigefügt ist, kann man an dieser Kunst jetzt genüsslich teilnehmen.