Den Namen Richard Strauss verbindet man zuallererst mit seinen Opern, etwa dem “Rosenkavalier”, der “Salome” oder der “Frau ohne Schatten” und mit seinen sinfonischen Dichtungen wie “Till Eulenspiegel”, “Don Juan”, “Tod und Verklärung” oder “Ein Heldenleben”.
Die Veröffentlichung der 15-CD-Box “The Unknown Strauss” der Deutschen Grammophon hingegen stellt einen anderen Aspekt des musikalischen Schaffens Richard Strauss‘ in den Vordergrund: nicht die Darstellung musikalischer Opulenz, wie sie für viele seiner Werke charakteristisch ist, sondern die Ergebnisse seiner jahrzehntelangen Suche nach Stoffen und künstlerischen Ausdrucksmitteln. Die frühen Sinfonien in d-Moll (1880) und in f-Moll (1883), Opernpräludien und -Intermezzi, etwa zu seinen ersten beiden Opern “Guntram” und “Die Feuersnot”, oder die Klavier- und Chormusik. Für alle, denen die Existenz solcher Werke bislang kaum und nur unzureichend bekannt waren, ist diese Box ein Volltreffer.
Wer kennt heute noch Strauss' Ballettmusiken?
Zwei CDs sind allein den frühen Orchesterwerken gewidmet, darunter die 1873 entstandene Orchestrierung der “Schneiderpolka”, die Strauss 1870 zunächst für Klavier komponiert hatte, der Festmarsch in E flat major (1873) oder die herrliche kleine Romanze für Klarinette und Orchester in Es-Dur (1879).
Wer kennt heute noch die zwei Ballettmusiken
von Richard Strauss? Die “Josephs Legende”, die erste, entstand 1914. Mit “
Schlagobers”, der zweiten, feierte Strauss acht Jahre später seinen 60. Geburtstag, als er am 9. Mai 1924 die Uraufführung dieses heiteren Wiener Balletts im Operntheater Wien dirigierte. Oder die 1924 uraufgeführte Adaption von
Beethovens “
Ruinen von Athen”/ “
Die Geschöpfe des Prometheus”? Strauss stellte dafür nicht nur die Musik Beethovens zusammen. Eigens für diese Adaption komponierte er eine zusätzliche Einlage: das Melodram “Hinauf zu deiner Burg, meine Göttin!”
Projekte mit “lokalem Kolorit”
Zu den Highlights der Box dürften zwei Produktionen mit dem unvergleichlichen Sir Peter Ustinov gehören. Die erste künstlerische Partnerschaft Karl Anton Rickenbachers mit Ustinov war die Arbeit an “Des Esels Schatten” nach Christoph Martin Wielands Roman “Die Abderiten”. Für Rickenbacher hatte das Stück, wie er in einem Interview sagte, “ein lokales Kolorit”: 500 Meter von seinem Haus am Genfer See entfernt, hatte Richard Strauss “Des Esels Schatten” komponiert, allerdings ohne es zu vollenden: von den 18 vorgesehenen Musiknummern waren letztlich nur sieben und die Ouvertüre entstanden. Im Gespräch mit dem Produzenten der Produktion kam die Idee auf, Sir Peter Ustinov zu fragen, der ebenfalls, quasi gleich um die Ecke, am Genfer See lebte. Der empfand das Projekt als neue Herausforderung und sah darin die Möglichkeit, eine Geschichte mit sehr vielen eigenen Gedanken zu erzählen. Und so schrieb er nach der Vorlage von Wieland einen eigenen Text. Nach der Aufführung bei den Strauss-Festspielen hatte er zu Rickenbacher gesagt: “Was immer Sie in dieser Richtung noch vorhaben – ich bin zu jeder Schandtat bereit.”
Und tatsächlich folgten noch etliche gemeinsamen Projekte, von denen ein weiteres auch Teil dieser Box ist: die dreiaktige Fassung von “Der Bürger als Edelmann” nach Molière. Richard Strauss und Hugo von Hoffmannsthal waren zwei Jahre nach der Oper “Ariadne auf Naxos” noch mal zur Ur-Ariadne zurückgekehrt und hatten auf diese Musik den “Bürger als Edelmann” nach der Vorlage einer Komödie Molieres konzipiert. Vorgesehen war die Uraufführung im Rahmen der Salzburger Festspiele 1921 gemeinsam mit der “Ariadne”, tatsächlich jedoch wurde es am 1.Oktober 1924 unter der Leitung Richard Strauss‘ im Redoutensaal der Wiener Hofburg aufgeführt. Bei dieser hier vorliegende Aufnahme spricht Sir Peter Ustinov seinen eigenen Text in englischer Sprache.
Ein wahrer “Straussianer”
Alle Aufnahmen waren ursprünglich beim Label Koch in der preisgekrönten Reihe “Der unbekannte Strauss” erschienen. Die musikalische Leitung hatte der Schweizer Dirigent Karl Anton Rickenbacher, dessen Entwicklung in seinen frühen Jahren maßgeblich von Otto Klemperer geprägt wurde. Rickenbachers umfangreiche Diskographie – vor allem in Zusammenarbeit mit den Bamberger Symphonikern, dem Bayerischen Rundfunk-Orchester und dem Berliner Rundfunk-Sinfonieorchester – zeigt ihn als wahren “Straussianer” mit größter Musikalität und leidenschaftlichem Forschergeist. Der Komponist Olivier Messiaen würdigte Rickenbacher als “einen großen Dirigenten unserer Zeit, der die jeweilige Ästhetik jedes Werkes genau erkennt”. Rickenbacher starb 2014 in Montreux.