Er war noch ein Kind, als seine Begeisterung für
Peter Tschaikowsky bereits einsetzte. “Ich liebe Tschaikowskys Musik, seit ich mich erinnern kann”, so
Semyon Bychkov. “Und wie es mit der ersten Liebe so ist, verging auch diese niemals.” Das merkt man seinen Interpretationen an. Der russischstämmige Dirigent hat diesen besonderen Draht zu Peter Tschaikowsky. Er hat keine Angst vor Pathos, vor dem großen, gefühlvollen Ton, den der russische Romantiker anschlägt.
Dabei weiß Semyon Bychkov nur zu gut, dass es bei Tschaikowsky nicht allein ums Gefühl geht. Oder besser: dass das Gefühl stärker zur Geltung kommt, wenn der Dirigent die Struktur von Tschaikowskys Musik beachtet. Die Satztechnik des russischen Romantikers ist überaus komplex, und Tschaikowsky war, wie Bychkov betont, “ein Meister des Kontrapunkts, äußerst versiert in der Fugenkunst”. Bychkov versteht beides in Einklang zu bringen: das große Gefühl und die formale Strenge.
Modernes Flair: Romantische Klarheit
Sein neues Album beweist eindrucksvoll, dass er schon lange mit Tschaikowsky befasst ist. Bychkov verleiht jeder einzelnen Note dieses hochverletzlichen Mannes Würde und stattet sie mit musikalischem Sinn aus. Die Sinfonie Nr. 6 (“Pathétique”) von Peter Tschaikowsky, eines seiner beliebtesten Werke, wird von Semyon Bychkov vergoldet. Er gibt diesem Werk ein elektrisierend modernes Flair. Ohne das große Gefühl zu beschneiden, lässt er die betörend schönen Harmonien des russischen Romantikers glasklar und präzise erklingen.
Das Orchester der Tschechischen Philharmonie blüht auf unter seinem Dirigat. Es darf seinen satten Klang voll ausreizen und wird von Semyon Bychkov nur sachte gelenkt. So klar und gefühlsstark hat man diese Sinfonie noch nicht gehört. Bychkov ist ein Geniestreich gelungen. Er bringt das romantisches Pathos und die musikalisch strenge Form von Tschaikowsky organisch zusammen, und dieses Geschick erweist sich auch in der Fantasie-Ouvertüre Romeo und Julia als überaus hilfreich.
Verheißungsvolles Tschaikowsky-Projekt: Semyon Bychkov und die Tschechische Philharmonie
Mit diesem Werk und Semyon Bychkov hat es etwas Besonderes auf sich. Die Begegnung markiert den Beginn von Bychkovs Tschaikowsky-Leidenschaft. Bychkov war 12 Jahre alt, als er einer Aufführung der Fantasie-Ouvertüre beiwohnte. Da kannte er das Werk bereits und hatte sich schon eine gebrauchte Partitur besorgt. Doch als er an jenem Abend nach der Aufführung nachhause kommt, da macht er etwas Ungewöhnliches: Er setzt sich, als alle schon schlafen, in die Küche, blättert die Partitur auf und beginnt zu dirigieren. “Ich glaube wirklich, dass ich das tat”, so Bychkov heute. “Was soll ich sagen? Ich liebe dieses Stück nach wie vor.”
Diesen persönlichen Bezug merkt man der neuen Aufnahme an. Sie fließt sanft dahin und weckt träumerische Gefühle. Semyon Bychkov ist ein Tschaikowsky-Enthusiast ohnegleichen, und dass sein neues Album den Startschuss einer großangelegten Reihe von Aufnahmen des russischen Komponisten bildet, ist für alle Liebhaber romantischer Orchestermusik eine gute Nachricht. “The Tschaikowsky Project – Vol. 1” beweist jedenfalls eindrucksvoll, dass die Zusammenarbeit zwischen Semyon Bychkov, dem Orchester der Tschechischen Philharmonie und Decca noch Großes erwarten lässt.