Steve Reich ist ein musikalischer Individualist par excellence. Er hat sich stets seinen eigenen Weg gebahnt. Vorgaben von außen wies er konsequent ab, wenn sie nicht in sein Konzept passten. Das begann schon früh. Bereits im Kindesalter zeichnete sich der schöpferische Eigensinn seiner Persönlichkeit ab. Als der Vater ihm als kleinem Jungen das Klavierspiel nahelegte, da probierte er das Instrument ein paar Jahre aus, um dann im Alter von 10 Jahren abzubrechen. Der Klavierunterricht fesselte ihn nicht. Er kam ihm statisch vor.
Der junge Steve sucht nach etwas Anderem in der Musik, etwas Lebhafterem, Unkonventionellerem, und als er 14 Jahre alt ist, da tut sich für ihn eine Welt auf, die ihn vollkommen in Bann schlägt und seine schöpferischen Kräfte weckt. Hatte er bis dahin nur die später von ihm so bezeichneten “middle-class favorites” gehört, wie Beethovens Fünfte oder Broadway-Songs, so macht er nun Bekanntschaft mit Bach und Jazz. Er hört viel Bach in jenen Jahren. Parallel dazu interessieren ihn Jazzer wie Charlie Parker, Miles Davis oder der Schlagzeuger Kenny Clark.
Pulsierende Rhythmen: Steve Reichs neuer Klangkosmos
Steve Reich ist davon überzeugt, dass damals, in den frühen fünfziger Jahren, die Weichen für sein kompositorisches Schaffen gelegt wurden, und wenn man seine für die Entwicklung der Minimal Music so maßgeblichen Werke hört, findet man darin tatsächlich eine Melange aus Bach und jazzartigen Momenten. Kontrapunktisches ist in etliche Reich-Kompositionen eingegangen. Zugleich ist seine Musik durchdrungen von pulsierenden Rhythmen, die das dominierende Stilprinzip seiner Tonschöpfungen bilden.
Obwohl er in Europa schon früh sein Publikum findet, gestaltet sich der Weg in die Plattenindustrie für Steve Reich schwer. Seine Musik ist nicht leicht zu kategorisieren: Sie passt weder ins rein atonale Feld, noch ist sie in irgendeiner Weise rückwärtsgewandt oder neoklassisch akzentuiert. Mit seinen ebenso heftig durchdringenden wie meditativ anmutenden Rhythmen, die er unter seine schönen Harmonien legt, schöpft Steve Reich einen völlig neuen Klangkosmos.
Limitierte Edition: Sämtliche ECM-Aufnahmen von Steve Reich
Für neue Klanggebilde, die zwischen Jazz, Klassik und musikalischer Avantgarde changieren, fühlt sich in den 1970er Jahren ein junger Kontrabassist verantwortlich. Der Mann hat 1969 eine Edition of Contemporary Music (ECM) gegründet und interessiert sich für Steve Reich. Manfred Eicher erfährt von einem Tape, das bei der Deutschen Grammophon liegt. Es handelt sich um den Pariser Live-Mitschnitt von Reichs “Music for 18 Musicians”.
Polydor, die Mutterfirma des Gelblabes, kann sich nicht entscheiden, was mit der Aufnahme geschehen soll, und Manfred Eicher bekundet Interesse an ihr. Er bekommt das Tape und publiziert es im Jahre 1978 in seinem Label. Die Veröffentlichung wird ein durchschlagender Erfolg und markiert den Beginn der intensiven Zusammenarbeit zwischen Steve Reich und Manfred Eicher.
Schlüsselwerke des amerikanischen Komponisten wie “Octet, Violin Phase”, “Music for a Large Ensemble” oder “Tehillim” kommen bei ECM heraus. Zusammen mit “Music for 18 Musicians” erscheinen insgesamt drei Alben bei dem Münchener Label, und diese Alben liegen jetzt erstmals in einer limitierten Edition gebündelt vor. “Steve Reich: The ECM Recordings” gestattet einen komprimierten Überblick über das reichhaltige Schaffen von Steve Reich.
Wenn man die Ausgabe in einem durchhört, dann ist es, als ob man Teil der urban pochenden Rhythmik seiner meditativen Musik wird. Bei aller Vielfalt zeigt sich dabei eine erstaunliche Kontinuität in Reichs Schaffen, das im beigefügten Booklet der Edition historisch umfangreich dokumentiert wird: mit einem informativen Essay von Paul Griffiths, Überlegungen zu den einzelnen Alben von Steve Reich selbst und aussagekräftigen Bildern von Aufnahmesessions.