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Der Berufene

27.09.2006
Eines Tages konnte Sting nicht mehr anders. Auf verschlungenen Pfaden war die Musik John Dowlands in unregelmäßigen Abständen in sein Leben getreten, als Empfehlungen befreundeter Musiker oder schlicht durch die Autorität ihres künstlerischen Gehalts. So begann der englische Sänger und Superstar des Adult Pops, sich intensiv mit den Klängen des 16.Jahrhunderts auseinander zu setzen. Der erste Schritt auf dem Weg zu “Songs From The Labyrinth” (Veröffentlichung am 06. Oktober) war getan, auch wenn noch viele weitere Zufälle hinzukommen mussten, bis aus der vagen Idee eines Dowland-Programmes ein schlüssiges Konzept entstand, das über die reine Adaption von Renaissance-Liedern hinausreicht.
Auf dem Höhepunkt seiner Popularität mit der Wave-Band “The Police” 1982 wurde Sting gebeten, bei einem Abend im Drury Lane Theatre von Covent Garden zugunsten von Amnesty International aufzutreten. Er kam allein mit seiner Gitarre und im Anschluss an die Darbietung gesellte sich der Schauspieler John Bird hinter der Bühne zu ihm. Komplimente wurden ausgetauscht, dann aber wurde Sting gefragt, ob er die Musik John Dowlands kenne. Er bejahte halbherzig, sehr viel mehr als den Namen hatte er nicht parat. Am nächsten Tag jedoch ging er in den Plattenladen und erwarb eine Aufnahme von Lautenlieder mit dem Tenor Peter Pears und Julian Bream an der Laute. Damit begann Stings Auseinandersetzung mit den Komposition des Renaissance-Meisters. Allerdings fand sie zunächst passiv statt, bis die Pianistin Katia Labèque eines Tages zu ihm meinte, warum er nicht einige der traurigschönen Poeme singen wolle. Sie würden bestimmt gut zu seinen eigenen Klangideen passen. Tatsächlich wagten sie sich gemeinsam daran, mehrere Stücke einzustudieren, die zunächst im kleinen Kreis aufgeführt wurden. Das wiederum spornte andere Freunde an, Stings Begeisterung für Alte Musik noch in anderer Form zu fördern. Von Dominic Miller, dem langjährigen Gitarristen seiner verschiedenen Bands, bekam er daher eine Laute geschenkt, eine Sonderanfertigung des Instrumentenbauers Klaus Jacobsen mit einer geschnitzten Verzierung über dem Schallloch, die der Rosette der Kathedrale von Chartres nachempfunden war.
 
Sting war tief beeindruckt, ließ daraufhin ein natürliches Labyrinth mit der gleichen Form im Garten seines englischen Anwesens anlegen, einen Ort der Ruhe und Kontemplation. Als er nun ebenfalls durch Miller mit dem Lautisten Edin Karamazov zusammentraf und ihn zu sich einlud, war es genau dieses botanische Kunstwerk, das die beiden dazu inspirierte, sich wohlmöglich gemeinsam der Musik Dowlands zu widmen. Allerdings konnte und durfte es kein typisches Alte-Musik-Projekt sein, zum einen weil Stings Stimme und Interpretation nicht den gängigen Klangvorstellungen der klassischen Gemeinde entspricht, vor allem aber weil es bereits verschiedene hervorragende Liedprogramme wie John Potters “In Darkness Let Me Dwell” gibt, mit denen er unmöglich in Konkurrenz treten wollte.  Es sollte etwas Eigenes werden, etwas Persönliches, das die Liebe zu dieser Musik ebenso verdeutlicht wie die historischen Hintergründe einer Zeit, die dem größten Lautisten seiner Generation übel mitspielte und ihm letztendlich eine wahrhafte Anerkennung durch die Menschen seiner Epoche vorenthielt. Sting und Karamzov entschieden sich daher für eine Mischung aus instrumentalen Stücken, Liedern und gesprochenen Texten, die unter dem Titel “Songs From the Labyrinth” ein ungewöhnliches Licht auf die Klangwelt der englischen Renaissance wirft. Das Repertoire reicht auf der einen Seite von Kunstwerken wie “Flow, My Tears” und “In Darkness Let Me Dwell” aus Dowlands Songbüchern bis hin zu hintergründigen Miniaturen wie “The Lowest Trees Have Tops” und “Clear Or Cloudy”. Dazu kommen gesprochene Passagen aus Dowlands Briefen, außerdem ein Lied von Robert Johnson, dem königlichen Lautisten, den Dowland so gerne an dessen Stelle beerbt hätte. Lied für Lied setzt sich ein außergewöhnliches Programm zusammen, das nicht nur Stings herausragend individuelle Interpretationen, sondern auch Edin Karamazovs faszinierende Gestaltungskunst an der Laute dokumentiert. So ist ein Kunstwerk entstanden, das souverän die Vergangenheit in die Gegenwart trägt und eine Wunderwelt der Intensität zu präsentieren vermag.

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