Schumann hat es
Thomas Zehetmair angetan. Der Zwickauer Komponist, eine der edelsten Federn der deutschen Romantik, bietet dem feinsinnigen Künstler aus Salzburg viele Möglichkeiten, sich auszudrücken.
Dirigent, Ensemblegründer und Geiger: Thomas Zehetmair (*1961)
Hier kann er differenzierte Harmonien genauso intensiv ausleben wie emotionale Ekstasen.
Robert Schumann besitzt beides: intellektuelle Kraft und romantisches Pathos. Und diese Verbindung liegt Thomas Zehetmair, der sich niemals bescheidet mit Musik, die ihn nicht fordert. Zehetmair will als ganze Person angesprochen werden, und er braucht Hindernisse. Das schuldet er seinem hochgespannten Verhältnis zur Kunst.
Der erfahrene Musiker, der als Ensemblegründer, Dirigent und Geiger viele Spuren hinterlassen hat, ist ein Entdecker. Seine reichhaltige ECM-Diskographie zeugt von seiner Neugier. Mit Komponisten des 20. Jahrhunderts wie Bartók, Schönberg und Veress oder Zeitgenossen wie Heinz Holliger hat sich Zehetmair Klangkosmen erschlossen, die sich nicht auf Anhieb verstehen. Bei längerem Hinhören kann solche Musik aber Schönheiten offenbaren, die nicht vergehen.
Expressive Spuren: Der visionäre, moderne Schumann
Und jetzt wieder Schumann! Was treibt einen so modernen Künstler wie Zehetmair zurück in die Romantik? Man muss sagen: Es ist kein Zurück. Schumann ist ein Weg in die Moderne. Mit seinem empfindsamen Temperament, seinem hohen Formgefühl und seinen eigensinnigen Harmonien schlägt er Schneisen in ein neues Zeitalter, und Zehetmair folgt diesen Wegen. Bei dem österreichischen Musiker scheint der visionäre, der wilde Schumann auf.
Was das heißt, führte Zehetmair bereits in seinem preisgekrönten ECM-Album mit Schumanns Streichquartetten Nr. 1 und 3 vor. Stand hier noch die Konzentration, die spannungsgeladene Dichte des Altmeisters im Zentrum, so ist Thomas Zehetmair mit seinem neuen Album einem gelösteren, expressiveren Schumann auf der Spur. Das mutet seltsam an, wenn man bedenkt, dass Zehetmair nun Schumanns Violinkonzert in d-moll interpretiert, ein Werk, das der romantische Komponist kurz vor seinem Sturz in den Wahnsinn schrieb.
Dramatische und poetische Kräfte: Anspannen und loslassen
Dies war neben den technischen Hürden auch der Hauptgrund dafür, warum diese Komposition lange Zeit eine Randexistenz fristete. Man hielt sie für unausgegoren und dachte, Schumann sei nicht mehr auf der Höhe seiner Kräfte gewesen, als er sie schuf. Thomas Zehetmair beweist das Gegenteil. Seine Interpretation mit dem Orchestre de Chambre de Paris führt die dramatischen Energien und poetischen Schönheiten dieses Werkes vor.
Zehetmairs Geigenspiel ist scharf geschnitten. Es arbeitet die Kontraste kompromisslos heraus. Zugleich besitzt der Geiger die Fähigkeit, sich treiben zu lassen, sich völlig hinzugeben an seine Kunst. Das Violinkonzert in d-moll lebt von diesem Wechselspiel zwischen hochreizbarer Gespanntheit und poetischem Loslassen. Es ist, als ob Schumann noch einmal alle Kräfte bündelt, um dann Abschied zu nehmen, und das ist ergreifend.
Aber darin erschöpft sich das Album nicht. “Robert Schumann: Violinkonzert d-moll” enthält darüber hinaus Schumanns vorwärtsdrängende, überaus optimistisch anmutende Sinfonie Nr. 1 in B-dur („Frühling“) sowie die melodiöse Fantasie für Geige und Orchester in C-dur. Mit diesen Werken beweist Zehetmair als Dirigent und als Geiger, dass er sich auch auf majestätische Stimmungen versteht und Schumann nicht auf seine Empfindsamkeit reduziert. Das überzeugt.