Das Zehetmair Quartett, eines der vielseitigsten und spannendsten Streichquartette unserer Zeit und berühmt für seine besonderen Programmzusammenstellungen, spannt auf seinem neuen, bei ECM erschienenen Album „Beethoven Bruckner Hartmann Holliger“ den Bogen von Klassik über Romantik bis hin zu Neuer Musik.
Das Zehetmair Quartett besteht seit 1994 und befindet sich mittlerweile an der Weltspitze der Streichquartette. Gründungsmitglied Thomas Zehetmair ist österreichischer Violinist und Dirigent. Seinem Interesse für klassisch-romantische Violinenstücke, aber auch für zeitgenössische Kompositionen ist die interessante und abwechslungsreiche Zusammenstellung des Albums zu verdanken. Das Quartett, dem neben Thomas Zehetmair Kuba Jakowicz, Violine, Ruth Killius, Viola, und Ursula Smith, Violoncello, angehören, spielt stets auswendig, daher klingt keine Interpretation wie die andere. Sie spielen nach Plan, aber auch mit hoher Intuition.
Das Zehetmair Quartett nahm Beethovens F-Dur-Quartett, Bruckners c-moll-Quartett und Holligers Streichquartett Nr.2 im April und Mai 2010 auf. Hartmanns Streichquartett Nr.2 entstand schon 2002, in einer Besetzung, bei der das 2011 verstorbene Gründungsmitglied des Quartetts, Françoise Groben, mitgespielt hat. Die Einspielung, bisher unveröffentlicht, ist die letzte Aufnahme der Cellistin; das Album ist ihr gewidmet.
Das Doppelalbum beginnt mit Beethovens Streichquartett Nr. 16 op. 135. Der Komponist hat es in den letzten Monaten seines Lebens als vereinsamter Junggeselle vollendet, in einer chaotischen Wohnung mit wüsten Stapeln von Noten, im ständigen Streit mit seinen Haushälterinnen – welch ein Gegensatz zu der kontrapunktischen Genauigkeit und Präzision des Werkes selbst! Der getragene, melancholische dritte Satz ist der Ruhepol des Stückes, einfühlsam interpretiert vom Zehetmair Quartett.
Anton Bruckners c-moll-Quartett wird von den Musikern selbst als berührend und warmherzig beschrieben. Bruckner schrieb dieses Streichquartett noch vor seinen Sinfonien – als Studienübung innerhalb des Instrumentations-Unterrichts bei Otto Kitzler. Wie eine Übung klingt dieses Stück keinesfalls; es ist ein inspirierendes Werk voll von musikalischen Ideen und eindringlicher Intensität. Bruckners einziges Streichquartett wurde 1950 in München wiederentdeckt und 1951 vom Koeckert-Quartett uraufgeführt.
Das Streichquartett Nr.2 des deutschen Komponisten Karl Amadeus Hartmann ist laut Zehetmair Quartett eines der bedeutendsten des 20.Jahrhunderts. Klare Linien treffen auf klangschöne, interessante Harmonien, ein Stück mit hochexpressivem Charakter, fesselnd und polarisierend, eine Herausforderung für den Hörer.
Der Schüler Anton Weberns gehört zu der zwischen 1900 und 1910 geborenen Komponistengeneration, die zu einem erneuten Aufbruch der Neuen Musik nach dem Ende des “Dritten Reichs” beitrugen. So begründete Hartmann die Konzertreihe Musica Viva, eine der wichtigsten Konzertreihen der zeitgenössischen Musik neben den Donaueschinger Musiktagen, den Ferienkursen in Darmstadt und den Wittener Tagen für zeitgenössische Musik.
Heinz Holliger hat sein Streichquartett Nr.2 für das Zehetmair Quartett geschrieben, das schon lange musikalische Kontakte zu dem Komponisten pflegt. 2008 führte das Ensemble das Stück in Köln zum ersten Mal auf, 35 Jahre nach der Komposition des
1. Streichquartetts des Komponisten. Holliger, der unter anderem bei Pierre Boulez Komposition studierte, sagt selbst, dass er Angst vor einer neuen Komposition für Streichquartett gehabt habe. Das Streichquartett sei ein Musikgenre, bei dem man sich automatisch mit den großen Komponisten messen lassen müsse, was einen lähmenden Effekt haben könne. Doch er hat die große Herausforderung glücklicherweise angenommen. Das Werk des Musikavantgardisten erweitert die Bandbreite der CD erheblich und macht die Einspielung zu einem spannenden Hörerlebnis. Noch dazu ist bei Holligers Komposition ein großes Stück Musikgeschichte zu erleben – Bezüge zu Débussy, Ravel, Berg oder Bartók sind bei seiner hochkomplexen Musik zu erkennen.
„Der schwer gefasste Entschluss. Muss es sein? Es muss sein.” So betitelte Beethoven handschriftlich den vierten Satz seines letzten Streichquartetts. Für Liebhaber der Kammermusik und der musikalischen Vielfalt sollte es kein schwer gefasster Entschluss sein, sich der Einspielung des Zehetmair Quartetts anzunehmen – denn wie Beethoven schon sagte, es muss sein!